3. Juni 2007 - 11:02 / Bühne / Musiktheater 

Wer von Rimini kommend die Autostrada Richtung Pesaro entlangfährt, gewahrt kurz nach Gabbice auf einer Anhöhe zur Rechten den Malatesta-Stammsitz Gradara. Die mächtige Festung war bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts errichtet worden, zu Weltruhm gelangte sie jedoch gut 100 Jahre später, als die Burg zum Schauplatz eines der berühmtesten Liebesdramen der Weltgeschichte wurde.

Aus politischen Gründen – in Italien toben die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Kaisers und denen des Papstes – wird Francesca da Polenta aus Ravenna mit dem ungestalten, Giovanni da Malatesta aus Rimini verheiratet. Nach der Hochzeit mit dem finsteren Burgherren von Gradara verliebt sich Francesca jedoch in Paolo, den schönen Bruder Giovannis. Über der Lektüre des mittelalterlichen Lancelot-Romans finden die beiden zueinander. Die Katastrophe ist vorprogrammiert: das schöne, unglückliche Paar wird von dem gehörnten Ehemann in flagranti entdeckt und ermordet.

Dante Alighieri, Italiens berühmtester Dichter, hat den Liebenden im fünften Gesang des »Höllen«-Kapitels seiner »Göttlichen Komödie«, dieser einzigartigen Enzyklopädie des Mittelalters, ein Denkmal gesetzt. Auf seiner fiktiven, visionären Jenseitsreise begegnen Dante und sein Reiseführer Vergil im »Zweiten Höllenkreis« Paolo und Francesca, die dort in einem grausamen Wirbelsturm umhergetrieben werden, mit all jenen, die »die Vernunft den Lüsten unterwerfen«. Das verdammte Liebespaar findet sich in illustrer Gesellschaft. Es wird, angeführt von Dido, mit namhaften »Liebessündern« wie Semiramis, Kleopatra, Helena, Achilles, Paris und Tristan durch den Sturm getrieben.

Dantes Schilderung hat – vor allem im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert – ganze Heerscharen von Künstlern zu eigener Auseinandersetzung mit Francesca da Rimini angeregt, so die Komponisten Hermann Goetz, Peter Tschaikowski und Sergej Rachmaninow, die Maler Jean-Auguste Dominique Ingres und Anselm Feuerbach sowie Schriftsteller wie John Keats, Paul Heyse und nicht zuletzt Italiens exzentrischen Dichterfürsten des »Fin-de-siècle«, Gabriele d’Annunzio. 1863 im adriatischen Pescara geboren, wurde der Dichter und Lebemann, der ebenso als Journalist, Abgeordneter, Stadtkommandant, Oberst, Fürst, Nationalheld bei der kurzfristigen Einnahme Fiumes – 1919 besetzte er im Widerspruch zum Waffenstillstandsabkommen die Stadt und beherrschte sie 16 Monate als Kommandant mit eigener Verfassung –, Liebhaber berühmter Frauen oder Wegbereiter Mussolinis durch die Klatschspalten ging, zum Vorzeigedichter des italienischen Symbolismus.

In einer äusserst fruchtbaren – und ebenso erfolgreichen – Periode seines Schaffens verfasste D’Annunzio im Sommer 1901 die fünfaktige Tragödie in Versen »Francesca da Rimini«, die im Dezember desselben Jahres mit der grossen Schauspielerin Eleonora Duse, seiner Muse und Geliebten, in der Titelrolle am Teatro Costanzi in Rom uraufgeführt wurde. D’Annunzio griff nicht nur auf Dantes Vorlage, sondern auch auf den Kommentar Boccaccios zur »Göttlichen Komödie« zurück und übernahm daraus die Geschichte des Heiratsbetrugs: Francesca verliebt sich nicht als Ehefrau Giovannis in ihren Schwager, sondern schon vor der Hochzeit und in der Annahme, Paolo sei ihr Bräutigam. Die Sympathien des Publikums waren so der Ehebrecherin sicher!

Seine Begeisterung für den Francesca-Stoff teilte D’Annunzio mit einem jungen Mann aus Norditalien, der, gerade 16-jährig, den fünften Gesang aus Dantes »Inferno« für Tenor und Klavier vertont hatte: Riccardo Zandonai. 1883 im norditalienischen Sacco di Rovereto in ärmlichen Verhältnissen geboren, war er schon früh durch seine musikalische Begabung aufgefallen. Er begann ein Musikstudium in Rovereto, das er in Pesaro bei Pietro Mascagni fortsetzte. 1905-1907 gewann er dreimal hintereinander den Kompositionspreis des österreichischen Kultusministeriums und erhielt vom italienischen Verleger Ricordi den Auftrag für seine erste Oper »Il Grillo del focolare« Gross waren die Hoffnungen, ihn als legitimen Nachfolger Giacomo Puccinis aufzubauen. Ricordi finanzierte dem Komponisten 1909 einen Aufenthalt in Spanien, um Musik und Folklore des Landes zu studieren. Es entstand die Oper »Conchita«, deren Titelrolle die Sopranistin Tarquinia Tarquini übernommen hatte, welche Zandonai kurz darauf heiratete und deren Erfolg als Conchita dem Komponisten einen weiteren Auftrag Ricordis einbrachte, jenen zu »Francesca da Rimini«.

Sicher macht man es sich zu einfach, wenn man Zandonai als Epigonen Puccinis und der Veristen oder als billigen Eklektiker abqualifiziert. Einmal eingetaucht in seine mediterrane, Strauss-helle und liebessüchtige Musik, wird man sich deren Faszination nur schwer entziehen können. Weit über den Verismo hinaus dringt Zandonai auf der Basis italienischer Belcanto-Tradition in die delikaten Klangsphären des Impressionismus vor, so etwa bei Francescas Ausruf im Liebesduett »Guardate il mare come si fa bianco«, wo Anklänge an Claude Debussys »La mer« mit den Händen zu greifen sind.

Das alles sind reizvolle Aufgaben für Maestro Nello Santi, der die Zürcher Erstaufführung von Zandonais Oper dirigiert. Für ihn bringt die Begegnung mit »Francesca da Rimini« das Wiedersehen mit einer alten Bekannten. Zuletzt hat er das Werk 1986 an der Metropolitan Opera in New York und in Toronto mit Renata Scotto dirigiert. Zehn Jahre zuvor hatte es bereits in Paris eine konzertante Aufführung für Radio France gegeben. Zur Besetzung gehörten seinerzeit die Sopranistin Ilva Ligabue, der Bassbariton Aldo Protti und der Tenor Ruggiero Bondino. Interessanterweise hat Nello Santi bei einem Professor studiert, der in der Direktionszeit Zandonais am Konservatorium von Pesaro, das seinerzeit als das führende Musikinstitut Italiens galt, unterrichtete.


Francesca da Rimini
Tragedia in vier Akten von Riccardo Zandonai (1883-1944)
Libretto von Tito Ricordi nach der Verstragödie (1901) von Gabriele d’Annunzio nach Dante Alighieri und Giovanni Boccaccio

Dirigent: Nello Santi
Inszenierung: Giancarlo del Monaco
Bühnenbild: Carlo Centolavigna
Kostüme: Maria Filippi

Premiere: Sonntag, 03.06.2007, 19 Uhr

Weitere Vorstellungen:
06.06.2007, 19.30 Uhr
09.06.2007, 19.00 Uhr
14.06.2007, 19.30 Uhr
17.06.2007, 20.00 Uhr
21.06.2007, 19.00 Uhr
03.07.2007, 19.00 Uhr
05.07.2007, 19.00 Uhr
07.07.2007, 19.00 Uhr

Opernhaus Zürich
Falkenstrasse 1
CH - 8008 Zürich

W: http://www.opernhaus.ch/

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