Sehr gelungen. Die Hausoper bei den Bregenzer Festspielen

Raritäten im Festspielhaus, der Opern-Blockbuster am See, beides in höchster Qualität, das macht den großen Erfolg der Bregenzer Festspiele aus. Mit der Inszenierung von Tancredi ist dem Regisseur Jan Philipp Gloger eine schlüssige Transformation aus Zeiten der Kreuzritter zur Drogenszene gelungen, die Emotionen und verhandelte Konflikte ganz im Sinne des Opernstoffs zugänglich macht.

Rossini komponierte die Oper als Zwanzigjähriger innerhalb weniger Wochen am Comer See in der malerischen Villa Pliniana, wo sein Hammerflügel heute noch bewundert werden kann. Es war seine zehnte! und 1813, zum 21. Geburtstag hatte er bereits fünfzehn Opern vollendet und an öffentlichen Theatern zur Aufführung gebracht. Für die wunderbare Dirigentin Yi-Chen Lin – wir erinnern uns an Puccinis Madame Butterfly auf der Seebühne im vorigen Jahr – sei es bemerkenswert, wie früh Rossini seinen Stil fand. "Natürlich hat sich später noch einiges getan, aber man sieht bei Tancredi wirklich schon die Grundrisse seines musikalischen Stils." Eine Opera seria ist immer den heroischen Stoffen der Weltliteratur verpflichtet. In diesem Fall ist es die klassizistische Tragödie Voltaires (1760), die übrigens Goethe 1800 ins Deutsche übersetzt hat und 1817 in Weimar gleich drei Aufführungen von Rossinis Oper hintereinander besuchte.  

In Bregenz spielt der Opernthriller nicht 1005 in Syrakus, sondern in einer vielschichtig angelegten Villa des Drogenbosses Argirio der heutigen Zeit. Das sich langsam drehende Bühnenbild erlaubt nachvollziehbare Wechsel der Szenen und steht komplett im Dienste der Handlung. Die verfeindeten Syndikate schließen sich wegen der Bedrohung eines weiteren Feindes zusammen, hier wohl die Drogenfahndung (Policia … wenn Polizei gemeint ist, sollte man Polizia auf die Uniformen schreiben). Als Pfand für den Frieden müssen Amenaide und Orbazzano heiraten. Das Liebespaar der Geschichte ist jedoch Tancredi und Amenaide. 

Bei Rossini ist Tancredi eine Hosenrolle, also Alt-Partie. Werkgetreu harmonieren die russische Mezzosopranistin Anna Goryachova und Mélissa Petit (siehe auch als Juliette und Eurydike) in ihren Duetten exzellent – und schauspielerisch als lesbisches Paar hervorragend! Ein Glücksgriff in der Besetzung: "Sie haben beide einen ganz besonderen Klang und passen wunderbar zusammen, ihre Stimmen verschmelzen nahezu. Das liegt auch daran, dass beide musikalisch sehr sensibel miteinander umgehen", sagt die Dirigentin.

Dem Regisseur Jan Philipp Gloger geht es nicht um das Durchziehen eines überraschenden Inszenierungskonzepts, für ihn sei eine moderne Leseart kein Selbstzweck, sondern dazu da „den Opernstoff für uns heute zugänglich zu machen und zu öffnen. Unser Bühnenbild ist eine raffiniert gebaute Drehbühne von Ben Baur. Sie zeigt die Villa eines Drogenbarons und gibt uns die Gelegenheit, die vielen Räume vom Innenhof über eine Küche und Amenaides Schlafzimmer bis hin zur Folterkammer und dem Kokaindepot des Kartells in allen Facetten ziemlich naturalistisch zu bespielen und auch in mehreren Zimmern gleichzeitig Parallelsituationen zu zeigen“. Eindringlich beispielsweise die Szene in der Küche, wo der Gewissenskonflikt des Vaters (so authentisch dargestellt vom sizilianischen Tenor Antonio Siragusa), der Amenaide wegen angeblichen Verrats zum Tode verurteilen soll, bewegend dargestellt wird, und der verschmähte Bräutigam Orbazzano (der deutsche Bassbariton Andreas Wolf) sich selbstgerecht von Isaura (sehr gut in ihrer Rolle Laura Polverelli) – die Vertraute wird hier zur unterstützenden Mutter – bewirten lässt. Das steigert zweifelsfrei Logik und Erlebniswert der dramatischen Ereignisse.

Rossinis spannungsgeladene Oper über Liebe, Vertrauen und die Unmöglichkeit, in Krisenzeiten glücklich zu werden endet wie zu erwarten tragisch: Tancredi rettet zwar Amenaide das Leben, fühlt sich jedoch bis zum vorletzten Atemzug von ihr betrogen, die Erkenntnis der großen Liebe dann beim letzten, am Ende – auf einer leeren, archaischen Bühne, die Drogengesellschaft verhaftet und abgeführt. Das Publikum begeistert und ergriffen.

Gioachino Rossini – Tancredi
Melodramma eroico in zwei Akten (1813) – Ferrara-Fassung
Libretto von Gaetano Rossi nach der Tragödie Tancrède von Voltaire (1760)

Argirio: Antonino Siragusa
Tancredi: Anna Goryachova 
Orbazzano: Andreas Wolf 
Amenaide: Mélissa Petit 
Isaura: Laura Polverelli
Roggiero: Ilia Skvirskii

Musikalische Leitung: Yi-Chen Lin
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Justina Klimczyk
Licht: Martin Gebhardt
Kampfchoreographie: Ran Arthur Braun
Chorleitung: Lukáš Vasilek
Dramaturgie: Claus Spahn, Florian Amort

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