L´avenir - Alles was kommt

Ausgefüllt ist das Leben der auf die 60 zugehenden Philosophieprofessorin Nathalie. Doch dann stirbt nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihr Mann verlässt sie wegen einer jüngeren Frau und Nathalie muss sich neu orientieren. - Mia Hansen-Løve gelang mit ihrem vierten Film ein wunderbar leichthändig inszeniertes, unaufgeregtes Frauenporträt, das von einer großartigen Isabelle Huppert in der Hauptrolle getragen wird.
Junge Menschen standen bisher im Mittelpunkt der Filme der Französin Mia Hansen-Løve und immer fungierten autobiographische Erfahrungen als Ausgangspunkt. So verarbeitete sie in "Le père de mes enfants" (2009) den Tod ihres Produzenten Humbert Bals, ließ sich von Jugenderfahrungen zu "Un amour de jeunesse" (2011) inspirieren und orientierte sich bei der Reise durch die Techno-Musik der 1990er Jahre in "Eden" an den Erfahrungen ihres Bruders.
Auch "L´avenir" ist autobiographisch geprägt, denn das Paar das hier im Mittelpunkt steht ist quasi das Alter Ego ihrer Eltern, die ein Philosophieprofessor und eine Übersetzerin waren. Deutlich älter als die 35-jährige Regisseurin sind damit aber erstmals ihre Protagonisten.
In einer kurzen Auftaktszene verbringt Nathalie (Isabelle Huppert) mit ihrem Mann und den zwei Kindern einen Sommer an der Atlantikküste. Jahre später haben die Kinder aber das Haus verlassen. Voll und erfüllt ist das Leben der Spätfünfzigerin Leben dennoch. Als engagierte Philosophieprofessorin, die ihre Schüler und Schülerinnen das selbstständige Denken lehren möchte, lässt sie sich auch nicht von vor der Schule protestierenden Jugendlichen vom Unterricht abhalten. Von der Arbeit eilt sie zu ihrem Verleger, um über die Überarbeitung eines Buches zu diskutieren, und muss sich zudem um ihre depressive Mutter kümmern.
Dynamisch folgt ihr die Kamera durch den Alltag, erzeugt in Verbindung mit einem energischen Schnitt, durch den die Szenen kurz gehalten werden, nicht nur einen organischen Erzählfluss, sondern vermittelt auch die Ausgefülltheit von Nathalies Lebens.
Wie sie kommt auch der Film in den ersten 30 Minuten zu keiner Ruhepause, wirkt dennoch nie hektisch, sondern bewahrt Leichtigkeit. Erst als ihr ebenfalls als Philosophieprofessor arbeitender Mann, mit dem sie seit über 20 Jahre verheiratet ist, erklärt, dass er eine andere Frau kennengelernt habe und ausziehen werde, kommt sie – und mit ihr der Film – kurz zur Ruhe. Getroffen und irritiert wirkt sie, doch dann wird das Leben doch wieder weiter gehen.
Weitere Verluste und Umbrüche werden mit dem Tod der Mutter oder der Kündigung durch den Verlag, der ihre kommerziell nicht erfolgreichen nüchternen Philosophiebücher nicht mehr drucken will, folgen, doch es stellen sich auch neue Aufgaben ein, von denen man manche – wie die Pflege der mütterlichen Katze Pandora – aber gerne auch wieder abgibt.
Mit Isabelle Huppert im Zentrum kann Mia Hansen-Love über Nebenfiguren den Bogen über das ganze Leben von Geburt bis zum Tod spannen, ohne dass der Film trotz der der schnellen Szenenfolge je überhastet oder dramatisch wird. Nichts wird hier breit ausgewalzt, vielmehr wird vieles wie der Auszug des Ehemannes oder der Tod der Mutter ausgespart. Kurz gehalten werden auch die zahlreichen philosophischen Diskussionen, in denen auch ein gesellschaftlicher Umbruch sichtbar wird.
Große Leichtigkeit, aber auch Dichte entwickelt "L´avenir" durch diese Erzählweise. Intensiv vermittelt Isabelle Huppert nicht nur die Erschütterungen Nathalies, sondern auch die Entdeckung der Freiheit, die sie durch die Trennung und die Verluste gewinnt. Ganz selbstverständlich, unverkrampft und rund kann Hansen-Løve, unterstützt vom französischen Star, vom Fluss des Lebens, dem Altern und den Umbrüchen, die immer wieder eine Neuorientierung verlangen, erzählen. Wie die Kamera Nathalie in der ersten Einstellung bei einer Bootsfahrt von hinten erfasst, so erscheint auch das Leben als eine Fahrt ins Ungewisse.
Meisterhaft verankert Mia Hansen-Løve in Zusammenarbeit mit ihrem Kameramann Denis Lenoir diesen reichen und trotz der ernsten Themen warmen und lichtdurchfluteten Film dabei auch im Raum. Sie fängt die von philosophischen Büchern dominierte Pariser Stadtwohnung ebenso überzeugend ein wie einen Pariser Park, die raue Atlantikküste oder den mal herbstlichen mal winterlichen Vercors, in dem Nathalie erkennen muss, dass sie mit den radikalen Ansichten eines ihrer Schüler und seiner Kollegen doch nichts anfangen kann. – Wie mit den Umbrüchen des Lebens spielt die Französin auch souverän, aber nie aufgesetzt mit den Umbrüchen der Landschaft und der jahreszeitlichen Stimmungen.
TaSKino Feldkirch im Kino Rio: Sa 5.11. - Do 10.11.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 24.11., 20 Uhr; Sa 26.11., 22 Uhr
Verein allerArt in der Remise Bludenz: Mi 30.11., 19 Uhr
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Trailer zu "L´avenir - Alles was kommt"
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