Herwig Zens (1943–2019) und Adolf Frohner (1934–2007) wirkten zeitgleich als Maler, Zeichner und Druckgrafiker. Sie waren leidenschaftliche Professoren, die Generationen von Studierenden prägten.
In ihrem ganzen Lebenswerk beschäftigen sich Zens und Frohner mit Fragen der menschlichen Existenz zwischen den Polen von Eros und Thanatos. Die dunklen Seiten des Daseins werden ebenso sichtbar wie das Lustvolle und Vitale. Die Ausstellung im Forum Frohner in Krems-Stein zeigt einen Dialog dieser beiden Künstler, die zu den Klassikern der Wiener Kunstszene zählen. Höhepunkte aus dem grafischen Schaffen von Herwig Zens werden malerischen Schlüsselwerken von Adolf Frohner gegenübergestellt.
Zwischen Herwig Zens und dem um neun Jahre älteren Adolf Frohner gibt es zahlreiche Berührungspunkte. Beide gehören zu den wesentlichen Vertreter:innen der Wiener Kunst ihrer Zeit. Zens wie Frohner fühlten sich der Conditio humana, der Natur des Menschen, verpflichtet. Die freudschen Urkräfte Eros und Thanatos, die Liebe und der Tod, waren zentrale Gegenstände. Die beiden großen Antriebskräfte der menschlichen Existenz kommen in unterschiedlichen Darstellungsformen gemeinsam oder als eigenständiges Motiv in den Werken beider Künstler vor. Frohner vereinte beide Aspekte in seinem furiosen Gemälde „Rote Liebe“ von 1987.
Beispielhaft für die künstlerische Beschäftigung mit den existenziellen Fragen des Seins ist das Motiv „Der Tod und das Mädchen“. Dieses seit dem 16. Jahrhundert in Musik, Literatur und bildender Kunst beliebte Sujet stellt den Tod als Verführer eines jungen Mädchens dar und vereint damit die beiden Triebfedern menschlichen Handelns. Frohner hat das Motiv in seinem monumentalen Gemälde „Der Tod und ein Mädchen“ von 1988 verarbeitet. Es zeigt den Tod als Skelett mit männlichem Geschlecht, der eine weibliche nackte Figur trägt. Die Frau ist deutlich größer als der Tod, sodass der Eindruck entsteht, er habe Mühe, sie zu tragen. Ihre körperliche Präsenz scheint den männlichen Widersacher zu erdrücken.
Auch Zens schätzte das Motiv und verarbeitete es in einer Vielzahl an Radierungen. Während bei Frohner stets das Körperliche, Erotische und der Geschlechterkampf im Mittelpunkt stehen, interpretiert Zens das Thema vielschichtig. In manchen Werken ist ein humoristischer Zugang merkbar, etwa bei der Radierung „Der Tod und das Mädchen – wer wird denn da so wasserscheu sein?“ von 2009. Darin versucht der Tod, ein Mädchen in eine Badewanne zu ziehen, in der er bereits sitzt.
Das Werk beider Künstler wurde bestimmt vom Wissen um die Vergänglichkeit. Ein früher Herzinfarkt im Jahr 1977 konfrontierte Herwig Zens schon in jungen Jahren mit dem Tod, der zu seinem ständigen Begleiter wurde. Zens betrachtete ihn auch mit einem Augenzwinkern, wie eine Anekdote aus seinem Atelier bezeugt: Er hatte über lange Jahre einen Sarg in seinem Arbeitsraum stehen, an dem er seine Pinsel abwischte. Der Sarg wurde so nach und nach zu einer farbigen Skulptur transformiert, die ein Highlight der Ausstellung ist.
Für Frohner hingegen blieb die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit stets von philosophischesoterischen Überlegungen geprägt. Seine Todesvisionen sind immer auch Lebensvisionen. Die Metamorphose des Menschen im Lebenskreislauf verarbeitete Frohner in einem monumentalen Triptychon von 1997: „Erste Mensch“, „Erste Liebe – erste Sünde“ und „Erster Tod". Es handelt sich um eines seiner Hauptwerke. Mit kraftvollen Pinselstrichen beschwört er darin die vitale Macht von Erotik und Liebe und konfrontiert sie mit der destruktiven Gewalt von Moral und Tod.
Der Lebenszyklus bei Frohner steht dem Totentanz bei Zens gegenüber. Die historischen Darstellungen von Totentänzen veranschaulichen die Macht des Todes über das Leben der Menschen ungeachtet deren gesellschaftlichen Standes. Schon in jungen Jahren war Zens von Totentänzen fasziniert. Es entstanden umfangreiche Paraphrasen zu berühmten Darstellungen wie jenen in Basel oder Lübeck. Bei seinem „kleinen Lübecker Totentanz“ handelt es sich wohl um die kleinformatigste Totentanzdarstellung überhaupt.
1982 besuchte Zens erstmals die Kapuzinergruft in Palermo. Sie diente vom 17. bis zum 19. Jahrhundert als Ruhestätte wohlhabender Bürger. Tausende mumifizierte Leichen von Männern und Frauen sind liegend oder stehend aneinandergereiht. Die Vertreter:innen der palermitanischen Oberschicht sind in edlem Gewand gekleidet, im Brautkleid oder ihrem Berufsstand zu Lebzeiten entsprechend etwa in Offiziersuniformen. Zens war von dieser grotesken Dramaturgie beeindruckt und widmete der Gruft einen umfangreichen Radierzyklus. Die Figur „Der Herr aus Palermo“ taucht immer wieder auf, als feiner Herr mit Hut oder als grinsender, tanzender und lachender Musaget.
Die Beschäftigung mit dem Tod und seiner Bedeutung für den Künstler erfährt im Motiv des Doppelgängers eine treffende Darstellung. Es taucht in Arbeiten von Zens und Frohner ab den 1980erJahren verstärkt auf. Frohner verarbeitete das Thema in einigen malerischen Arbeiten, Zens in Radierungen.
2013, sechs Jahre nach Frohners plötzlichem Tod, fertigte Zens eine Radierung an, die er „Frohner“ betitelte. Hinter dem Porträt Frohners erscheint links auf dem Papier ein zweites Gesicht, das Alter Ego des schöpfenden Künstlers, der Tod. Dieser zeigt sich nur schemenhaft als sich auflösendes Gesicht. Im Motiv des Doppelgängers gerät die Auseinandersetzung mit dem Tod zu einem Rollenspiel und die Endlichkeit des Seins wird im schöpferischen Akt unterlaufen. Der Künstler besiegt den Tod. In diesem Sinn ist das zweite Gesicht im Porträt Frohners auch eine Selbstdarstellung von Zens. Zens trifft Frohner und der Tod lacht mit.
Die Landesgalerie Niederösterreich widmet Herwig Zens (1943 - 2019) anlässlich seines 80. Geburtstags ebenso eine Schau.
Zens trifft Frohner
Und der Tod lacht mit
Bis 1. April 2024
Kurator:innen: Nikolaus Kratzer, Elisabeth Voggeneder