Wiener Weltausstellung 1873 Revisited - Ägypten und Japan als Europas „Orient“

Anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Wiener Weltausstellung 1873 thematisiert das MAK einen kritischen Aspekt dieser internationalen Prestigeschau: die Präsentation des Orients als orientalistisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Länder Ägypten und Japan, die nach damaligem Verständnis kulturgeografisch oft dem „Orient“ zugeordnet wurden, beleuchtet die Ausstellung. Ägypten und Japan als Europas „Orient“ unterschiedliche Facetten dieses Phänomens.

Die Entstehung der MAK Sammlung ist eng mit der Wiener Weltausstellung 1873 verknüpft. Insbesondere Japan, das damals erstmals offiziell als Nation an einer Weltausstellung teilnahm, stellte sich mit vielen Kunstwerken vor. Ein großer Teil davon wurde von der japanischen Regierung an europäische Museen, darunter auch das k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute MAK), geschenkt. Das MAK verwahrt eine der wichtigsten Sammlungen zur Wiener Weltausstellung, wovon etwa 80 Prozent der für die Ausstellung relevanten Objekte hierzulande noch nie gezeigt wurden.

Die Ausstellung geht einer Reihe von Fragen nach: Von welchen Akteuren wurden die Länderpräsentationen in Wien konzipiert und gestaltet? Welche politischen, kulturellen und diskursiven Rahmenbedingungen prägten die ästhetische Entscheidungsfindung? Auf welche Art und Weise wurden Orientalismen für die Wiener Weltausstellung ästhetisch-symbolisch und kulturpolitisch von den jeweiligen Ländern verhandelt und nach 1873 transformiert?

Als Ausgangspunkt werden zwei europäische Akteure in den Blick genommen: der österreichisch-tschechische Architekt Franz (František) Schmoranz jun. (1845–1892) und der deutsche Chemiker Gottfried Wagener (1831–1892). Schmoranz verantwortete die Präsentation des Khedivats Ägypten (1867– 1914) und gestaltete im Auftrag des Khediven die ägyptische Baugruppe, Wagener war für die Präsentation Japans verantwortlich. Beide konnten umfangreiche Entscheidungen über die Darstellung der beiden Länder treffen.

Eines der Highlights der Ausstellung ist die Präsentation des sogenannten „Arabischen Zimmers“. Der von Schmoranz entworfene Raum war von 1883 bis 1931 dauerhaft im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie eingerichtet und seither in seiner Gesamtheit der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Bei der Gestaltung griff Schmoranz auf architektonische Elemente aus dem ägyptischen Pavillon der Wiener Weltausstellung 1873 sowie der Pariser Weltausstellung 1867 zurück. Für die Ausstellung wurde das Zimmer weitgehend rekonstruiert und mit noch vorhandenen Sammlungsbeständen wie Keramiken, Textilien, Glas- und Metallobjekten vervollständigt. Zu sehen sind auch Aquarell-Skizzen des Arabischen Zimmers von Le Corbusier (Charles-Édouard Jeanneret-Gris, 1887–1965), die er im Rahmen einer Reise nach Wien im Jahr 1908 anfertigte.

Die Schau zeigt außerdem Entwürfe der gesamten ägyptischen Baugruppe, historische Fotografien und eine breite Auswahl an japanischen und ägyptischen Exponaten aus der MAK Sammlung, darüber hinaus Lobmeyr-Gläser nach Entwürfen von Schmoranz sowie einen Teil seiner im MAK verwahrten Fliesensammlung.

Die theoretische Grundlage bildet die neuere Kritik an Edward Saids klassischem Orientalismus-Ansatz aus postkolonialer Sicht. Orientalismus wird im Rahmen der Ausstellung nicht nur als ein aus europäisch-westlicher Perspektive erfolgendes Othering („Alterisierung“) pauschalisiert, sondern als ein höchst komplexes Gebilde dynamischer Verhandlungsprozesse verstanden, die auch Praktiken wie Self-Othering, Widerstand und Komplizenschaft des „Orients“ miteinschließen.

Saids Ansatz einer stark dichotomischen Gegenüberstellung von Orient und Okzident wird dadurch infrage gestellt. In dieser Hinsicht besonders interessant sind Schmoranz’ und Wageners gegensätzliche Positionen zur Frage eines „repräsentativen“ nationalen Stils. Anhand ihrer Interaktion mit Akteuren aus Ägypten und Japan lässt sich die große Komplexität der Orientalismen im Wien des späten 19. Jahrhunderts exemplarisch aufzeigen.

Die Wiener Weltausstellung wird aus zwei verschiedenen Länderperspektiven neu kontextualisiert, um damit verbundene Mechanismen sowie ästhetische und kulturpolitische Strategien genauer zu dechiffrieren. Die aus heutiger Sicht ungewöhnliche Auswahl der Länder und ein genauer Blick auf das „Innenleben“ der Orientbegeisterung bilden weitere Aspekte der Schau.

Die MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung recherchierte in einem groß angelegten Projekt alle anlässlich der Wiener Weltausstellung erschienenen Kataloge und Berichte der 35 teilnehmenden Länder. Sämtliche 222 Publikationen sind ab der Eröffnung der Ausstellung im Volltext online durchsuchbar. Damit ergänzen rund 35.000 Seiten den bereits vor mehreren Jahren online gestellten Fotobestand und präsentieren das gesamte Spektrum des 26 Gruppen umfassenden Ausstellungsprogramms der Weltausstellung.

Wiener Weltausstellung 1873 Revisited
Ägypten und Japan als Europas „Orient“
Bis 22. Oktober 2023