Visuelle Provokation als Markenzeichen

Das Museum für Gestaltung Zürich zeigt die erste umfassende Retrospektive des Fotografen Oliviero Toscani, der die Provokation zum Credo seiner Arbeit gemacht hat. Seine Bilder erregen Aufsehen, erschüttern und empören: Toscani hat als Fotograf, Creative Director und Bildredaktor Geschichte geschrieben und die Werbekommunikation auf den Kopf gestellt. Die Schau gibt Anlass, Themen wie Ethik, Ästhetik, Gender und Rassismus in ihrem zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext neu zu diskutieren.

Eine Nonne und ein Priester beim keuschen Kuss, ein Mann auf dem Sterbebett umringt von seiner trauernden Familie, drei realistische, identische Herzen, die mit "Black", "Yellow" und "White" beschriftet sind – Oliviero Toscani hat die visuelle Provokation zu seinem Markenzeichen gemacht und polarisiert mit Tabuthemen wie dem Tod, freier Liebe und offen zelebrierter Sexualität. Für das italienische Modehaus Benetton realisierte Toscani ab Anfang der 1980er-Jahre ebenso umstrittene wie ikonische Werbekampagnen. Nach ersten, vergleichsweise klassischen Modeaufnahmen machte er den Firmenclaim "United Colors" mit Models aus allen Kontinenten zum Kern seiner Bildwelten. Ab 1989 ist auf den Plakaten keine Mode mehr zu sehen. Im ständigen Kampf um Aufmerksamkeit verstand sich Benetton fortan als Katalysator für die Verhandlung drängender gesellschaftlicher Probleme. Einige warfen dem Konzern vor, Themen wie Rassismus, Gewalt und Ausgrenzung für seine Geschäfte zu instrumentalisieren.

Trotz teils massiver Kritik radikalisierte Toscani die Kommunikation des Modehauses zusehends: Ab 1992 nutzte er für die Marke nur noch Bilder modeferner Themen wie AIDS, Umweltzerstörung oder Migration. Ein Jahr später gründeten der Firmeneigner Luciano Benetton und Oliviero Toscani die Fabrica, eine Schule für Kunstschaffende unter 25 Jahren aus allen Disziplinen. Das Magazin "Colors" der Fabrica folgte allein drei Prinzipien: "no news, no famous people", ein Thema pro Heft. Eine äusserst kontroverse Kampagne gegen die Todesstrafe, die im Jahr 2000 internationale Empörung auslöste, bildete den Abschluss seiner Arbeit für Benetton.

Oliviero Toscanis Ausbildung Anfang der 1960er Jahre in der legendären Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich (heute Zürcher Hochschule der Künste ZHdK) prägte seine Arbeit nachhaltig und legte den Grundstein für eine internationale Karriere. Ein Wettbewerbsgewinn führte ihn noch während des Studiums nach New York. Dort realisierte er erste kommerzielle Aufträge und begann im Sinne der "Street Photography" die afroamerikanische Community zu dokumentieren. Parallel dazu fotografierte Toscani die wilde und sexuell befreite Clubszene Manhattans. Im "Limelight", im "Studio 54" und im "Max’s Kansas City" traf er auf Persönlichkeiten wie Lou Reed, Joe Cocker und Patti Smith, die er portraitierte. Mindestens ebenso sehr interessierte sich Toscani aber für das extrem diverse Publikum, das sich – oft exzentrisch und unbeirrt von Geschlechterrollen – einem hedonistischen Rausch hingab. Er befreundet sich mit Andy Warhol, wird Teil seiner Factory und realisiert mit dem Pop Art Künstler legendäre Kampagnen für Polaroid.

Oliviero Toscani: Fotografie und Provokation
Bis 15. September 2024