Locarno 2015: Goldener Leopard für Hong Sangsoo

Während der von den Kritikern favorisierte israelische Film "Tikkun" "nur" den "Spezialpreis der Jury" erhielt, ging der Hauptpreis des 68. Filmfestivals von Locarno an "Jigeumeun Mago geuttaeneun Teullida – Right Now, Wrong Then" des Südkoreaners Hong Sangsoo.

Nachdem Hong Sangsoo in Locarno schon vor zwei Jahren für "Uri Sunhi" mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, verlieh ihm nun die von Udo Kier geleitete Jury für seinen neuen Film "Right Now, Wrong Then" den Goldenen Leoparden. Wie der Titel so ist auch der Film zweigeteilt und Hong erzählt mit kleinen, aber zentralen Abweichungen zweimal dieselbe Geschichte.

Im Mittelpunkt steht ein Filmregisseur (Jung Jae-young, der auch den Preis für den besten Darsteller erhielt), der in eine südkoreanische Stadt kommt, um im Anschluss an die Vorführung eines seiner Filme ein Publikumsgespräch zu führen. Doch der Regisseur ist um einen Tag zu früh gekommen und muss nun die Zeit totschlagen. In einem Palast entdeckt er eine junge Frau, beginnt mit ihr ein Gespräch, geht mit ihr in ein Café, dann in ihre Wohnung, weiter in ein Restaurant und schließlich zu ihren Freunden, wo klar wird, dass der Regisseur schon verheiratet ist und Kinder hat. Die Frau wird allein nach Hause gehen, der Regisseur am nächsten Tag seine Lecture halten und dann abreisen.

Indem Hong nun die gleiche Geschichte nochmals erzählt, Szenen sich teilweise identisch wiederholen lässt, teilweise aber variiert, vor allem den Regisseur schon früh preisgeben lässt, dass er verheiratet ist, wirft der Südkoreaner die Frage auf, ob die Dinge im Großen anders verlaufen, wenn man sich im Detail anders verhält.

In langen ruhigen Einstellungen, die vielfach einer ganzen Szene entsprechen, ist das ausnehmend schön gefilmt, besticht durch starke Schauspieler, denen viel Raum gelassen wird, den sanften Blick und die Balance zwischen Komik und Ernst, erscheint insgesamt aber doch als Leichtgewicht. Zu wenig bringt doch letztlich die Wiederholung der Geschichte, als dass Längen vermieden werden könnten.

Mehr zu packen, aufzuwühlen und zu verstören sowohl durch die formale Geschlossenheit als auch durch thematischen Tiefgang verstand da schon Avishai Sivans "Tikkun", der mit dem "Spezialpreis der Jury" sowie dem FICC/IFFS Preis (International Federation of Film Societies) ausgezeichnet wurde.

Nicht zuletzt als Anerkennung für die Rückkehr auf den Regiestuhl nach 15 Jahren Pause ist wohl die Verleihung des Regiepreises an Andrzej Zulawski für "Cosmos" anzusehen, während der Preis für die beste weibliche Schauspielerin für die vier Hauptdarstellerinnen des über fünfstündigen japanischen Wettbewerbsbeitrag "Happy Hour" (Regie: Hamaguchi Ryusuke) hochverdient ging.

Einen gesellschaftskritischen Akzent setzte die Ökumenische Jury mit der Vergabe ihres Preises an den iranischen Film "Ma Dar Behesht – Paradise" von Sina Ataeian Dena, während "Suite Armoricaine", in dem Pascale Breton in kunstvollem Aufbau von der Rückkehr einer bretonischen Kunstgeschichteprofessorin an die Orte ihrer Kindheit erzählt, mit dem FIPRESCI-Preis (Preis der internationalen Filmkritiker) ausgezeichnet wurde.

Deutlich macht die breite Verteilung der Preise auch, dass das Niveau des Wettbewerbsprogramms sehr ausgewogen war und es keinen unbestritten alles überragenden Film gab. Dies kennzeichnete auch das Programm der Piazza Grande, bei dem Lars Kraumes sehr solide gemachte und spannende Geschichtslektion "Der Staat gegen Fritz Bauer" den Publikumspreis gewann, während der Variety Piazza Grande Award mit "La belle saison" an Catherine Corsinis ebenso nostalgische wie leidenschaftliche Erinnerung an die Anfänge der Frauenbewegung in den frühen 1970er Jahren ging.