Locarno 2015: Genrevariation und phantasievolles Spiel

W盲hrend Andrzej Zulawski in seinem ersten Film seit 15 Jahren der Phantasie freien Lauf l盲sst, legt der Niederl盲nder Alex van Warmerdam mit "Schneider vs. Bax" im Wettbewerb des 68. Filmfestivals von Locarno eine h枚chst unterhaltsame schwarze Killerkom枚die vor. Elisabeth Scharangs Jack-Unterweger-Spielfilm "Jack" d眉rfte dagegen in seiner Skizzenhaftigkeit Publikum und Kritik spalten

F眉r Skandale sorgte der geb眉rtige Pole Andrzej Zulawski in den 1970er und 1980er Jahren mit Filmen wie "Nachtblende" (1975) und "Die 枚ffentliche Frau" (1984) wegen ihrer expliziten Sexszenen, still wurde es um den in Frankreich lebenden Regisseur sp盲testens ab der Jahrtausendwende. Jetzt meldet er sich mit seinem ersten Film nach 15 Jahren zur眉ck und 眉berrascht mit seinem sich frei an Witold Gombrovicz 1965 erschienenen Roman "Cosmos" anlehnenden Film gleichen Titels.

Denn wer Skandal枚ses erwartete, wurde entt盲uscht, daf眉r l盲sst Zulawski seiner Phantasie freien Lauf, l盲sst den jungen Witold im Wald nicht nur einen erh盲ngten Spatzen finden, sondern bald auch mit seinem Freund Fuchs in einer m盲rchenhaft verwachsenen Familienpension ein Zimmer beziehen, sich in die sch枚ne, aber verheiratete Tochter des Hauses verlieben, aber auch seltsame, teilweise absurde Erlebnisse mit den anderen Bewohnern des Hauses machen.

Eine lineare Handlung l盲sst sich kaum ausmachen, vielmehr spielt Zulawski lustvoll mit den M枚glichkeiten des Kinos, reiht wie an einer Perlenkette einen Einfall an den anderen, spielt mit literarischen und filmischen Verweisen von Strindberg bis Spielberg und von Luc Besson bis Robert Bresson. - Ein wunderbar-leichtes, jugendlich verspieltes Werk hat hier der 74-J盲hrige vorgelegt, das freilich in seiner F眉lle den Zuschauer auch etwas erschlagen zur眉ckl盲sst.

Schon eher klassisches Genrekino, wenn auch im Stil der Coens oder des Norwegers Hans Petter Moland ins Makrabe verschoben pr盲sentierte der Niederl盲nder Alex van Warmerdam mit der Killerkom枚die "Schneider vs. Bax". Eine Traumfamilie mit blonder Frau und zwei s眉脽en blonden T枚chterchen hat Schneider, sein Geburtstag soll mit einer Party gefeiert werden und den Tag m枚chte er sich frei nehmen. Gest枚rt wird er aber durch einen Anruf, in dem er den Auftrag erh盲lt einen Schriftsteller zu t枚ten, denn hinter der b眉rgerlichen Fassade verbirgt sich ein Auftragskiller.

Nach Dr盲ngen des Auftraggebers willigt Schneider ein, soll es sich doch um einen schnell erledigten Routineauftrag handeln. F眉r den Zuschauer ist freilich klar, dass sich die Dinge anders entwickeln werden, sich der Auftrag zunehmend komplizieren wird, weitere Personen hineingezogen werden, bald sich auch die Positionen von Opfer und T盲ter verschieben, bis am Ende mehrere Tote zur眉ckbleiben werden.

Souver盲n dreht van Warmerdam an der Handlungsschraube, l盲sst in trocken-unaufgeregter Inszenierung ein R盲dchen ins andere greifen, eine zun盲chst depressive junge Frau schlie脽lich 眉ber sich hinauswachsen, Schneider trotz sich versch盲rfender Bedingungen immer die Ruhe und 脺bersicht bewahren. Im Grunde mag das Stoff f眉r einen Kurzfilm sein, doch mit den zahlreichen Wendungen versteht es der Holl盲nder seinen Film am Laufen zu halten und 90 Minuten bestens zu unterhalten, spielt dar眉ber hinaus freilich auch mit Abgr眉nden, die hinter der glatten Fassade lauern.

Einen wahren Fall der 枚sterreichischen Kriminalgeschichte arbeitet dagegen Elisabeth Scharang mit der Geschichte des M枚rders und Schriftstellers Jack Unterweger auf. In ihrem Spielfilm "Jack" verzichtet Scharang aber auf Inserts zu Zeit und Ort der Ereignisse und entwickelt die Handlung bewusst skizzenhaft.

Vom Mord in den 1970er Jahren springt der Film zur 15-j盲hrigen Haftstrafe, in der Unterweger nicht nur die Literatur entdeckt, sondern auch selbst zu schreiben beginnt, und bald auch 眉ber Briefe Beziehungen zu Frauen aufbaut. Als Muster f眉r einen gewandelten Verbrecher wird er nach seiner Entlassung in der Wiener Society hofiert, ver枚ffentlicht seine Gedichte und einen Roman, wird zu einer Fernsehdiskussion 眉ber Strafvollzug eingeladen, f眉hrt mit Ford Mustang und weissen Anz眉gen das Leben eines Playboys, bis er in den 90er Jahren im Zuge einer Mordserie an Prostituierten wieder verhaftet wird und nach der Verurteilung Selbstmord begeht.

Von Unterwegers schwieriger Kindheit als von der Mutter zum alkoholkranken Gro脽vater abgeschobenem Kind 眉ber die Zeit der Haft bis zur Rolle in der Wiener Gesellschaft wird vieles kurz angerissen und skizziert, aber bewusst nichts differenzierter ausgelotet. Nicht n盲her kommen will man folglich dem von Johannes Krisch gespielten Unterweger, kann schwer die Faszination nachvollziehen, die er auf eine verheiratete Architektin (Corinna Harfouch) aus眉bte, bekommt auch kaum Einblick in die gesellschaftlichen Hintergr眉nde.

Nicht nur auf Distanz h盲lt Scharang so den Zuschauer, sondern zwingt ihn so auch sich selbst ein Urteil zu bilden, was freilich angesichts der nur bruchst眉ckhaften Informationen schwer f盲llt. Einerseits unbefriedigt l盲sst so "Jack" den Zuschauer zur眉ck, andererseits ist es wiederum gerade dieses Skizzenhafte und Vage, sind es diese Leerstellen, die den Film im Kopf des Zuschauers nachwirken lassen.