Lars Eidinger tritt zum Finale seiner Foto-Ausstellung in Klagenfurt auf

Führung durch die Ausstellung "overlooks" in der Stadtgalerie kann man dazu eigentlich nicht sagen, es war ein Auftritt: Zur Finissage gab Lars Eidinger dem Publikum eine inspirierende, emotionale, persönliche Einsicht in seine Fotoarbeiten, die seit Mai in Klagenfurt ausgestellt waren (siehe Artikel auf kultur onine).

Er beginnt mit dem Text, den Simon Strauß als Vorwort für sein Buch (Autistic Disco, Verlag Hatje Canz) geschrieben hat: "Mit der Emotionengeschichte ist es so eine Sache – an Gefühle kommt man in der Geschichte schwer heran. Schon in der Gegenwart lassen sie sich meist nicht richtig verstehen, sind fluide und ausdrucksscheu. In Worten waren sie einst zu Hause, versteckten sich in Tagebucheintragungen und Gedichtzeilen. Heute wandern sie immer stärker in andere Sphären aus, verbünden sich mit Kurznachrichten, Tonspuren und vor allem Bildern."

Wir stehen vor dem ersten, stark überbelichteten Foto: Ein Hamster, der verschreckt aus der aufgestellten Klopapierrolle lugt, aufgenommen als Siebenjähriger, mit Blitz, selbstverständlich. Und Lars Eidinger erzählt, dass, wenn er es heute betrachtet, wohl sichtbar wird, wie er sich zu Hause gefühlt hat: nämlich gefangen, eingeschränkt, aber auch wie er mit dem kleinen Haustier umgegangen ist, ihm eigentlich Gewalt angetan hat ... "die Bildsprache hält viel mehr aus, als das Wort".

Interessant, dass alle ungerahmten Ausdrucke Screenshots von 15 Sekunden kurzen Handy-Videos sind. Eidinger steht auf diese Pixel-Ästhetik und es interessiert ihn auch, diesen einen Moment heraus zu filtern: "Der Film ist eine Aneinanderreihung von Fotos ...". Da steht der Museumsbesucher verloren herum und lauscht; ein cooler Typ sitzt auf dem umgekippten Einkaufswagen und säubert den Holzmasten sorgsam von unzähligen Heftklammern inzwischen verschwundener Ankündigungen. In jedem Bild ist eine Geschichte, eine Pointe zu finden, und je länger man es betrachtet desto größer wird die eigene Erlebniswelt.

Es gibt auch Objekte in der Ausstellung, zum Beispiel die picobello gereinigten Hühnerknochen im KFC (Kentucky Fried Chicken) Pappbecher oder ein grünes Klo-Dufti-Bäumchen im Plexi-Cubus und ein Kreuz mit sich frei bewegendem Christus. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine aufwändige Atomuhr handelt, das Kreuz ist der Stundenzeiger, der Gekreuzigte (den Eidinger auf ebay erstanden hat) gibt die Minuten an. Von den Symbolen fasziniert, fragte sich Eidinger immer, was es eigentlich bedeute, wenn man sich den idealen Mensch gekreuzigt aufhängt. Und es sei ja auch eine Tatsache, dass der Messias in seiner Zeit von den meisten nicht als solcher erkannt wurde. "Wir haben uns eigentlich selbst verraten und unsere eigenen Ideale ans Kreuz genagelt. Das ist etwas immer Wiederkehrendes, was sich unaufhaltsam wiederholt. Auch in unserer Zeit gibt es Gestalten, die das Potenzial hätten uns zu retten, aber wir hören halt nicht zu!“ Wer das sein könnte, fragt eine Frau aus dem Publikum, spontan kommt von Eidinger: „Greta Thunberg, sag ich jetzt mal" und er rezitiert Bertold Brecht. Ein weiterer Impuls – wieder Brecht zu lesen!

Um noch einmal Simon Strauß zu zitieren: "Das Archiv einer zukünftigen Vergangenheit wird ein visuelles sein. In ihm sind ab jetzt auch die Fotografien von Lars Eidinger gespeichert, dem Schauspieler, der alles wahrnehmen und verarbeiten will, was ihm seine Zeit an Reizen zur Verfügung stellt."

Lars Eidinger als Jedermann der Produktion 2021/22 bei den Salzburger Festspielen: siehe Artikel kultur online