Wie Jedermann das Leben zu einem respektablen Ende bringt

Dass Jedermann Stöckelschuhe trägt, die Buhlschaft einen roten Hosenanzug und noch dazu kurze Haare, der Teufel nicht mit Getöse, sondern mit Witz auftritt und in Person von Mavie Hörbiger zu Beginn auch als Gott mit Rauschebart, das haben wir ausführlich mitgekriegt. Ebenso, dass Regisseur Michael Sturminger mit diesem neu zusammengestellten Ensemble auch eine komplette Neuinszenierung anlegen MUSSTE! Nicht vorstellbar, dass für das Spiel von Lars Eidinger das Rollenhemd des Vorgängers oder gar kurzfristiger Ersatz – wie es 2018 bei Tobias Moretti mit Philipp Hochmair passierte – möglich wäre. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich war vom Jedermann der Salzburger Festspiele 2021 absolut beeindruckt, berührt, begeistert! Dazu muss aber gesagt werden, ich war völlig frei und unbedarft, es war mein erster. Völlig legitim ist für Pressearbeit und Medien, die plakativen Ausschnitte, Bilder zu verwenden, um spektakuläres Interesse zu wecken, sie sind dazu ja bestens geeignet. Doch falls die Erwartungen daran festgemacht wurden, überrascht was Privilegierte – die eine Karte ergattern konnten – bei dieser Aufführung erleben.

Jedermann – Das Spiel vom Sterben des reichen Menschen. Sturminger bezieht sich im Gespräch mit der Dramaturgin Angela Obst (im Programmbüchlein) auf das weiter gefasste englische Wort "Everyman": "Wir suchen in dieser Arbeit nicht das spezifisch Männliche, sondern das Menschliche, das Yin und Yang ..." Und so ist es eigentlich müßig darüber zu diskutieren, ob Jedermann wohl irgendwann einmal eine Frau sein wird, ob er zeitweilig ein Kleid anhat oder in Unterhosen dasteht. Er ist Mensch. Und Lars Eidinger ist das unprätentiös, authentisch. Er ist ein Fragender. "Das ist ein Mensch, der neugierig darauf ist, wie weit er gehen kann, der jeden Weg, jeden Gedanken zu Ende, auf die Spitze treiben will. Er wird nicht aus der Sicherheit gerissen, sondern eher aus einer erfolgreichen Zuspitzung seines Lebens", so der Regisseur.

Wir lernen Jedermann kennen, wie er leibt und lebt, es gibt nicht nur den sondern die armen Nachbarn. Am Weg zur Tischgesellschaft redet seine Mutter ihm bezüglich Glauben ins Gewissen: "Ich möchte die Rolle der Mutter so sprechen, dass alles immer präsent ist, das ganze Leben mit allen Höhen und Tiefen, mit Jauchzern und Schmerzen", schreibt Angela Winkler im Probentagebuch am 22. Juni (ebenfalls im Programmbüchlein zu lesen). Es sind dies die ruhigen Sequenzen, wieder so selbstverständlich – die Begegnung mit der Mutter, wie die mit dem Tod. Edith Clever ist ein edler Tod. Unbeeindruckt vermittelt sie dem Menschen, dass es nichts zu verhandeln gibt, wiewohl ihm doch eine Stunde Galgenfrist gewährt wird. Weder Freund noch Gesell will ihn begleiten, auch die Geliebte nicht. Bei Hugo von Hofmannsthal findet sich dazu kein Dialog mit der Buhlschaft, die Inszenierung löst diese Szene jedoch tänzerisch und extrem ergreifend. Verena Altenberger ist so pur, liebend und klar. Das ganze Stück lebt von der Musik, die von einer Szene zur anderen überleitet und Charaktere wie Handlung verstärkt, emotionalisiert. "Es geht ans Eingemachte: Emotionen, Grooves, Angebote unsererseits, freier Umgang mit den einzelnen Parts. Mitterer dirigiert wenig bis gar nicht und fordert unsere Aufmerksamkeit und das Zuhören", schreibt Robert Kainar vom Ensemble 021, das 2013 für die Salzburger Festspiele gegründet wurde, ins Probentagebuch. Wolfgang Mitterer ist bereits der dritte Komponist, der mit dem Ensemble diese neue Jedermann-Musik kreierte.

Der Reigen der Absagen geht weiter: Inspizientin Natalie Stadler, die den gesamten künstlerischen und technischen Ablauf koordiniert, im Probentagebuch zu Schuldknecht (akrobatisch im Boxring mit Jedermann) und Mammon (als widerliche Klette, die dann doch nicht mitgehen will), beide von Mirco Kreiblich (mit Laufbahn als Eiskunstläufer, Balletttänzer und Artist ... darum wohl so beweglich!) dargestellt: "Mit dem Mammon trifft Jedermann auf eine Reinkarnation seiner vergangenen Überheblichkeit. Der im Kampf zu Boden geschlagene Schuldknecht wird ihn in der Gestalt des personifizierten Geldes heimsuchen und ihm die Sinnlosigkeit seiner Existent vor Augen führen. Auf sein Geld hat Jedermann während seines Lebens gebaut, ihm vielleicht sogar am meisten vertraut. Von diesem verlassen zu werden bedeutet eine der schwerwiegendsten Trennungen für ihn."

"Im Jedermann wird spätes Erwachsenwerden gezeigt: Er ist am Ende bereit, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen – heißt hier: das Leben zu einem respektablen Ende zu führen, den Tod anzunehmen", sagt der Regisseur Michael Sturminger. Das Schlussbild manieristisch, ausgereizt, doch zu ertragen: Die Pietà – Jedermann im des weißgekleideten Todes Schoß liegend.