Geschäfte mit Kopien - Der „Fotografische Kunstverlag Otto Schmidt“

Im Sommer ist das Grafische Kabinett im Leopold Museum dem Fotografischen Kunstverlag Otto Schmidt gewidmet, der um 1900 als einer der bedeutendsten europäischen Produzenten für Vorlagenstudien in Wien galt.

Schmidt veröffentlichte das Bildmaterial über so unterschiedliche Medien wie Mappenwerke, Zeitschriften, Postkarten und Bücher. Die Ausstellung orientiert sich in ihrer Darstellung nicht an Werkgruppen, sondern untersucht die Prozesse der Produktion, Bilderzirkulation und -konsumtion, was auch das Austauschverhältnis zur bildenden Kunst, vor allem der Malerei, beinhaltet.

Fotografien verlegen – Ein neues Geschäftsfeld

Mit der rasch wachsenden Anzahl an Fotoateliers wurde es schwierig, von beauftragten Porträts zu leben. So entstand in den 1860er-Jahren ein umkämpfter Markt an Sammelbildern mit neuen Themen und Formaten. Statt wenige Exemplare einer Aufnahme an individuelle Kundinnen oder Kunden zu verkaufen, entstanden nun zahllose Kopien (Positivabzüge), die über Verlage in den Handel kamen. Einer der erfolgreichsten der nun mehr zu Verlegern avancierten Fotografen war Otto Schmidt. Bereits 1873 hatte er mit seiner "Wiener Typen-Serie" reüssiert, die im nostalgisch-verklärenden Stil gewissermaßen eine kleine Ethnografie der Reichshaupt- und Residenzstadt bot, um sich bald darauf der Herstellung von Vorlagenstudien (Études d’après nature) zu widmen.

Schmidt unternahm große Fotokampagnen, die ihn durch mehrere österreichische Kronländer führten. Im Zuge dessen schuf er rund 4.000 Landschafts-, Architektur- und Händestudien sowie Aufnahmen von kunstgewerblichen Objekten. Sie boten dem Historismus nahestehenden Künstler:innen eine Anschauungsgrundlage – Architekten und Kunstgewerbetreibende griffen seit den 1860er-Jahren auf solche Bilder zurück. Der Historismus hatte eine nie dagewesene Stilpluralität hervorgebracht, wofür es Vorlagen benötigte, die ein Wissen um die Gotik, die Renaissance, des Barocks oder des Rokokos ­vermittelten. Bilden- den Künstler:innen dienten die Fotografien als Lehr- und Arbeitsmaterial und ergänzten oder ersetzten das Arbeiten vor den realen Objekten. In Kunstakademien und Gewerbeschulen in ganz Europa haben sich Konvolute von Schmidts Vorlagensammlungen erhalten. Zudem entstanden Kindergenre- und Kostümstudien sowie Rollen- und Zivilporträts von Schauspielerinnen und Schauspielern, welche die Theaterbegeisterung der Zeit widerspiegeln. Die intensivste Zusammenarbeit entwickelte sich mit dem Burgtheaterstar Hugo Thimig, mit dem Schmidt darüber hinaus physiognomische Studien aufnahm.

Aktstudien

Das einträglichste – weil weltweite – Geschäft aber war Schmidts Aktproduktion, die im Übrigen umfangreichste in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sein Geschäftsnachfolger, der Maler Eduard Büchler, führte diese Produktion fort; insgesamt nahmen sie rund 8.000 solcher Sujets auf. Die Grenzziehung zwischen „künstlerischen“ und – vom Strafgesetz verbotenen – „unzüchtigen“ Bildern verlief je nach Aufgeklärtheit und Weltanschauung sehr unterschiedlich; Gerichtsprozesse zeugen von Kämpfen um moralische Werte. Über international agierende Händlernetzwerke zirkulierten die Aktstudien auch in Übersee, befanden sich im Besitz vieler Maler und Bildhauer und wurden in Büchern abgebildet, die sich mit der sogenannten „Frauenschönheit“ befassten. Zudem nutzten Mediziner, Anthropologen, Lebensreformbewegte und interessierte Connaisseurs die Bilder, um aus ihnen Einsichten zu gewinnen, ihre Forschungen zu bebildern, ihre gesellschaftlichen Visionen zu propagieren oder ihre (männliche) Schaulust zu befriedigen.

Fotografisches Produzieren

Otto Schmidts Atelierfotografien belegen eindrücklich, wie ökonomisch er bei ihrer Herstellung vorging. Das betrifft sowohl die Modelle, mit denen er oftmals ganze Serien aufnahm, als auch den von ihm angeschafften Fundus an Atelierausstattung. Darüber hinaus besetzte Schmidt seine Modelle gelegentlich in unterschiedlichen „Rollen“: etwa für Kostüm-, Typen- und Aktfotos. Für seine Inszenierungen griff er – wie seine Konkurrenten – auf ein standardisiertes Staffagerepertoire zurück. Dazu gehörten Dekorationsmöbel und Leinwandhintergründe, die wiederholt eingesetzt wurden, gleichgültig, um welche Bildgattung es sich handelte. Das Produzieren von Lichtbildern ist ein zweistufiger Prozess, bestehend aus dem Fotografieren, sowie dem Edieren und Reproduzieren. An die Aufnahme des Negativs schließt sich die Fertigung der Kopie, also des Positivabzugs an. Das Verhältnis von Negativ und Positiv ist nicht als ein simples Verhältnis von Vorlage und getreulicher Kopie zu denken, sondern als eine dynamische Beziehung. In dieser zweiten Produktionsstufe geht es um die editorische oder redaktionelle Aufbereitung, damit um die vielen kleinen und größeren Entscheidungen, wie konkret das Negativ umgesetzt werden soll: in Form eines Abzugs oder Drucks und mit welchen anderen Bildern und Texten es zu komplexeren Medienverbünden wie Postkarten, Zeitschriften oder Büchern kombiniert wird. Das Edieren von Negativen ist somit eine selbständige schöpferische Leistung, die mitunter örtlich und zeitlich losgelöst und unabhängig von demjenigen passiert, der das Lichtbild aufgenommen hat. In diesem Sinn hat die Produktion, die auf Schmidts Negativen basiert, bis heute nicht aufgehört.

Bilderzirkulation

Um auf dem stark konkurrenzgetriebenen Markt bestehen und die Lichtbilder angemessen vermarkten zu können, mussten sie in Zirkulation versetzt werden. Dafür gab es größere Verlage und europaweit agierende Großhändler mit Zugang zu entsprechenden Verteilernetzwerken in größeren Städten. Das Verlagsprogramm machten sowohl Fotografen wie Händler über die verschiedensten Werbemittel wie Kataloge, Musterblätter, Flugblätter, Prospekte und Inserate publik. Schmidt schuf mit seinem Illustrierten Katalog (1895), der über 1.800 Miniaturabbildungen enthält, den am opulentesten bebilderten gedruckten Katalog in Österreich. In Form eines Wandfrieses zeigt die Ausstellung einen Ausschnitt daraus. Der Vertrieb von Aktstudien, die wiederholt als moralisch anstößig empfunden wurden, geschah oft im Geheimen.

Sich Fotografien aneignen

Das Betrachten von Fotografien ist kein passiver Vorgang. Bilder stellen eine Ressource dar, mit der Menschen ihre eigenen Bedeutungen, Aussagen und Interessen verfolgen. Der Historiker Michel de Certeau spricht von „Aneignungspraktiken“. Die allermeisten der alltäglichen Aneignungen, da nicht institutionalisiert, verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Wir erfahren nichts darüber, wie jemand sich an den Bildern erfreute, sein Selbstbild darüber entwarf und stärkte, oder Erkenntnisse, Wissen sowie Belehrung daraus zog. Andere Aneignungsformen dagegen schlagen sich in Publikationen, Kunstwerken oder Gegenständen der Populärkultur nieder. Die im Leopold Museum ausgestellten Objekte zeigen auf, wie sich Künstler, Wissenschaftler und Akteure der Populärkultur die Bilder Schmidts und Büchlers zu eigen machten. Die Formen der Aneignung reichen vom Übertragen von Fotografien in die Medien Zeichnung und Malerei, dem Benutzen als Inspirationsquelle für das eigene Schaffen (Alfons Walde) über ironische Reenactments etwa des Berliner Fotokünstlers Matthias Leupold bis hin zum Einsatz der Bilder, um anthropometrische Daten zu gewinnen und – wie die feministische Soziologin Claudia Honegger es in kritischer Absicht nannte – eine „Sonderanthropologie der Frau“ zu konstruieren.

Geschäfte mit Kopien. Der „Fotografische Kunstverlag Otto Schmidt“ zeigt rund 330 Exponate, darunter Fotografien, Bücher, Zeitschriften, Flugblätter, Werbeprospekte, Postkarten, Heliogravüren, Gemälde, Dekorstoffe und Archivalien.

Geschäfte mit Kopien
Der „Fotografische Kunstverlag Otto Schmidt“
Kurator: Michael Ponstingl (Photoinstitut Bonartes)
Bis 28. August 2022