Was man sehen möchte und was man sieht

Gegenständliches Sehen ist, wie bereits der britische Kunsttheoretiker John Ruskin Mitte des 19. Jahrhunderts feststellte, immer mit Erfahrungswerten verknüpft und nur selten gelingt es, den Blick vom einordnenden, wiedererkennenden Sehen auf ein zweckfreies, sehendes Sehen umzustellen. In den Arbeiten des jungen, japanischen Künstlers Takehito Koganezawa (*1974 in Tokyo, lebt in Berlin) werden vertraute Details unserer Alltagswelt zum Ausgangspunkt für einen mitreissenden Fluss aus Formverwandlungen und Assoziationen.

Koganezawa führt uns weg vom Gegenständlichen und lässt uns in poetische Erzählungen der Formen, Farben, Bewegungen und Materialien eintauchen. Takehito Koganezawa wurde unter anderem 2005 mit dem anerkannten Ars Viva Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet und erhielt 2008 das Stipendium Villa Aurora in Los Angeles. Seine Arbeiten wurden bereits in wichtigen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen sowie auf Videofestivals weltweit gezeigt. Haus Konstruktiv realisiert nun mit vier seiner neuesten Videoinstallationen die erste Ausstellung des jungen, japanischen Künstlers in einem Schweizer Museum.

Zu den zentralen Themen in den Arbeiten Koganezawas gehört die Zeit, die er in seinen Videoarbeiten, Performances und Zeichnungen auf unterschiedliche Weise medial umsetzt. In seinen Videoarbeiten werden Raum und Zeit als Rhythmen und Bewegungen erfahrbar, die den Fluss der Handlungen und Impressionen aus der Alltagswelt künstlerisch verarbeiten: Mit wechselndem Fokus und in spannungsreicher Taktung übersetzt Koganezawa sich verändernde Naturerscheinungen, aber auch urbane Phänomene wie das nächtliche Flimmern von Grossstadtlichtern oder aneinadergereihte, durchs Bild laufende Buntstiftlinien in poetische Inszenierungen im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit.

Mit ihren eigenen Rhythmen führen Koganezawas Videorbeiten oft zu einem für die japanische Philosophie zentralen Gefühl des Sich Verlierens: "In meinem Werk versuche ich, den Intellekt auszuschalten, ihn sozusagen in den Selbstmord zu treiben. Ich verliere und verliere mich, immer. Und dieses Sich-Verlieren hat keine negative Bedeutung.", so Koganezawa. Eindrücklich erfahrbar wird dies in Koganezawas neuester Videoinstallation "Graffiti of Velocity" (2009), die in der grossen Ausstellungshalle im 3. OG zu sehen sein wird: mit insgesamt 12 Videobeamern schafft Koganezawa eine komplexe visuelle Verdichtung von nächtlichen Aufnahmen des Flimmerns von Grossstadt-Neonlichtern, die – ganz ohne Ton – eine ganz eigene Musikalität entwickeln.


Takehito Koganezawa
28. August bis 25. Oktober 2009