Ob Bluts- oder Wahlverwandtschaft, familiäre Bindungen sind ein Thema, das jede:n betrifft. Die Gruppenausstellung fragt danach, wie wir Zugehörigkeit definieren, und zeichnet ein vielschichtiges Bild davon, was Familie sein kann. Sie vereint Werke von vierzehn zeitgenössischen Künstler:innen und lädt ein, über familiäre Beziehungen, Konstellationen und deren gesellschaftspolitische Verknüpfung nachzudenken.
Die ausgewählten Arbeiten rücken die unbewusste Dynamik familiärer Beziehungen in den Vordergrund, erzählen von großen Gefühlen, skurrilen Gewohnheiten und besonderen Herausforderungen. Sie thematisieren familiäre und gesellschaftliche Verantwortung und zeigen Menschen, die konventionelle Rollenzuschreibungen unterlaufen, um ihren individuellen Lebensentwürfen als Gemeinschaft zu folgen. Ob im Geiste oder im wahren Leben – (Wahl-)Familien sind im besten Fall jene Menschen, mit welchen wir uns identifizieren, die uns prägen und die uns Halt und Orientierung geben.
Die fotografische Serie der Familienporträts von Thomas Struth und die Skulpturengruppe von Asta Gröting offenbaren unterschwellige Zuneigungen und Befindlichkeiten innerhalb der Familie, derweil Joanna Piotrowska in ihrer bis ins Detail inszenierten fotografischen Serie Frowst (2013–2014) Posen der Ambivalenz in den Mittelpunkt rückt. Das Unbewusste und psychologisierende Beziehungsgeflechte fasst Johan Tahon in Skulpturen fragmentierter Körper.
Auf ebenso einnehmende wie bedrückende Weise zeigt Miriam Cahn den Zusammenhalt familiärer Konstellationen in Extremsituationen und beleuchtet Andrea Bowers mit "Letters to an Army of Three" (2005) die vielfältigen Beweggründe für (illegale) Schwangerschaftsabbrüche. Eine unmissverständlich politische Haltung liegt auch den Arbeiten des Künstler:innenkolletivs Chto Delat zugrunde, die mit "A Border Musical" (2013/2023) die Bedeutung von individueller und gesellschaftlicher Fürsorge im russisch-norwegischen Grenzgebiet auf den Prüfstand stellen, während Guy Ben-Ner und Corinna Schnitt in ihren Filmen familiäre Werte, Eigentumsverhältnisse und Rituale verhandeln.
In seiner monumentalen Wandinstallation "You and me plus" (2007) summiert Allen Ruppersberg die Namen verstorbener Künstler:innen und Kurator:innen zu einer Mindmap mentaler Identifikationsfiguren. Selbstgewählte Wahlverwandtschaften außerhalb der biologischen Familie stehen auch im Zentrum von Chantal Regnaults Fotografien, die Ende der 1980er-Jahre die innere und äußere Dynamik der House Ballroom-Szene in New York dokumentierte. Mit welchen Herausforderungen LGBTQ*-Familien konfrontiert sind, die gesellschaftlich verankerten Normen in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Fortpflanzung und Familie nicht entsprechen, beleuchtet wiederum Sharon Hayes in der filmischen Arbeit "Ricerche:one" (2019) aus der Perspektive von Kindern und jungen Erwachsen. Auch Verena Jaekel und Pixy Liao rücken in ihren Fotografien ein sich wandelndes Verständnis familiärer Lebensentwürfe und Rollenbilder in den Mittelpunkt und verdeutlichen einmal mehr, dass Familienkonstellationen heute weniger über eine Norm, sondern ihre emotionalen Qualitäten und das jeweilige Selbstverständnis als Gemeinschaft definiert werden: "Ausschlaggebend ist, was gelebt wird und wie das, was gelebt wird, empfunden wird." (Andrea Maihofer)
Mit Arbeiten von Guy Ben-Ner, Andrea Bowers, Miriam Cahn, Chto Delat, Asta Gröting, Sharon Hayes, Verena Jaekel, Pixy Liao, Joanna Piotrowska, Chantal Regnault, Allen Ruppersberg, Corinna Schnitt, Thomas Struth und Johan Tahon.
(Wahl-)Familie. Die, die wir sind
Bis 5. November 2023