Video-Raum-Welten von Bill Viola

Der amerikanische Künstler Bill Viola zählt zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart. Seine mit modernster Technologie umgesetzten Bildwelten überzeugen durch ihre kontemplative Balance und überwältigen durch ihre unmittelbare Emotionalität und bildnerische Vehemenz. Sie sprengen den Rahmen konventioneller Sehgewohnheiten, die von den alltäglichen Bilderfluten in Film, Fernsehen und den sozialen Medien geprägt sind. Seine bildgewaltigen Werke sind der conditio humana gewidmet; sie schaffen immersive Erlebniswelten, welche die Betrachtenden mit den Grundbedingungen und Potenzialen menschlicher Existenz konfrontieren und wesentliche Themen wie Leben und Tod, Traum und Wiedergeburt, Erinnerung und Vergessen, Verwandlung und Verklärung thematisieren. Das Museum der Moderne Salzburg zeigt mit der – in enger Zusammenarbeit mit dem Bill Viola Studio entstandenen – Personale die erste museale Präsentation von Violas eindrücklichem Werk in Österreich.

Viola, der sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit dem menschlichen Körper, divergierenden Zeitordnungen, Spiritualität und Transzendenz auseinandersetzt, ist zu Recht als „postmoderner Humanist“ (David A. Ross) bezeichnet worden, der einen intensiven Dialog mit nichtwestlicher Kunst, Musik und Religion pflegt und seine virtuos komponierten Werke sowohl als Reflexion über die Daseinsverortung des Menschen in der Welt begreift wie auch als Erkundung der Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Bewusstseins. Violas spirituelle Aufgeschlossenheit gegenüber dem östlichen Denken lässt ihn Werke von höchst eindrücklicher visionärer Poetik schaffen, die das Geistige mit dem Ästhetischen verbinden, ohne dabei in neureligiöse Dogmatik abzudriften. Die Tradition der abendländischen Malerei – insbesondere der Einfluss bedeutender Renaissancekünstler – ist für sein Werk, das der künstlerischen Erforschung des bewegten Bildes gewidmet ist, von großer Bedeutung. Zudem gelingt es ihm mittels avancierter Videotechniken wie Zeitlupe, Zeitraffer, Überblendung, Mikro- und Makroaufnahmen, unsere Wahrnehmung der realen Welt zu transzendieren. Gerade in unsicheren und verstörenden Zeiten haben Violas Werke eine große Relevanz, da sie von einer Idee der Hoffnung und Solidarität getragen sind.

So ist beispielsweise seine Videoprojektion "The Raft" (2004), die in extremer Zeitlupe die Überwältigung einer Menschenmenge durch einen gewaltigen Wasserstrom zeigt, eine universelle Metapher der Bedrohung menschlichen Lebens. Bei dieser Darstellung des Leidens der Weltgesellschaft war es dem Künstler – wie er in einem Statement festhielt – wichtig, dass alle „Schiffbrüchigen“ überlebten: Niemand sollte verloren sein („no one is lost“). „Viele Werke Violas verweisen auf jenen ,inneren Raum‘ menschlicher Erfahrung, zu dem wir nur schwer Zugang erlangen – auf das, was am Grunde unserer Seele ‚schläft‘ und unser Leben zu dem macht, was es ist“, schreibt der Philosoph Otto Neumaier in seiner Einführung zur ausstellungsbegleitenden Publikation. „Die verschiedenen Werke lassen uns diesem inneren Raum unterschiedlich nahekommen.“ In "Three Women" (2008) bildet Wasser gleichsam den äußeren und inneren Raum dadurch, dass Menschen als schwarz-weiße Schemen hinter einer zunächst nur erahnbaren Wasserwand auf uns zukommen, ehe sie wieder hinter das Wasser zurückkehren. "Three Women" ist Teil der Serie „Transfigurations“, einer Gruppe von Werken, die den Lauf der Zeit und den Prozess der inneren Wandlung eines Menschen reflektieren. Neumaier verweist im Kontext dieser Arbeit auf den Sufi-Mystiker Ibn al ‘Arabi, der das Leben als eine endlose Reise beschrieb: „Das Selbst ist ein Ozean ohne Ufer. Der Blick auf das Selbst hat weder Anfang noch Ende, weder in dieser noch in der nächsten Welt.“ "Three Women" bringt diese tiefe Vision der ewigen Natur des menschlichen Lebens zum Ausdruck.

In Violas Werk tauchen bestimmte Motive (wie etwa die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, Landschaften, Pflanzen, Tiere und Menschen, der Künstler selbst, Mitglieder seiner Familie) immer wieder auf; in manchen zitiert der Künstler auch eigene Werke. Eine der „Motivlinien“ (Neumaier), die sich durch das Werk von Viola ziehen, sind Bilder von Menschen, die ins Wasser tauchen oder darin schweben, etwa in Installationen wie "Five Angels for the Millennium" (2001). In einer viel früheren Arbeit, "The Reflecting Pool" (1979), wird Violas eigener Sprung ins Wasser nicht zu Ende geführt. Dennoch sieht Viola den Vorgang als „Taufe“ im ursprünglichen Sinn von Läuterung: „Wasser ist ein so kräftiges, augenfälliges Symbol der Reinigung wie auch von Geburt, Wiedergeburt und sogar Tod“, so der Künstler.
Auch die dem Plakatmotiv der Ausstellung am Museum der Moderne Salzburg zugrundeliegende Arbeit ist Teil von Violas jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit dem Element Wasser. "Sharon" (2013) entstammt einer Serie von Wasserporträts, die etwas Beunruhigendes an sich haben – zumal Wasser kein natürlicher Lebensraum für den Menschen ist – und doch Träumende zeigen, die eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlen und scheinbar ohne zu atmen unter Wasser existieren können.

Licht und Helligkeit als Sehnsuchtssymbol verarbeitet die Installation "Night Vigil" (2004–2005), ein Diptychon auf zwei nebeneinanderliegenden Bildschirmen. Darin werden eine Frau und ein Mann, die mitten in der Nacht durch Dunkelheit getrennt sind, zueinander und zu der Lichtquelle hingezogen, die ihre Sehnsucht erhellt. Die Motive in Night Vigil stammen aus einer Produktion von Richard Wagners Oper Tristan und Isolde von 2005 an der Pariser Opéra Bastille, für die Viola mit dem Regisseur Peter Sellars, dem Dirigenten Esa-Pekka Salonen und Kira Perov, seiner Studiomanagerin und künstlerischen Partnerin, zusammenarbeitete.

„Wer Werke von Bill Viola betrachtet, betritt in mehrerlei Sinn einen Raum“, formuliert Otto Neumaier. Und weiter: „Viele Werke Violas sind wesentlich Räume, und für ihr angemessenes Verständnis ist wichtig, sie als Räume aufzufassen. Aufgrund ihrer Proportionen und anderer Merkmale vermitteln sie verschiedene Erfahrungen, wiewohl vielen dieser Räume eine strukturelle Einfachheit gemeinsam ist, die ihnen eine geradezu mystische Qualität verleiht.“ In diesem Sinne stellt die Überblicksausstellung zu Violas Werk am Museum der Moderne Salzburg eine Einladung dar, sich auf die immersiven Video-Raum-Welten dieses großen Künstlers und damit neue, ungewohnte Perspektiven auf die großen Themen des Lebens einzulassen.

Bill Viola
Bis 30. Oktober 2022