Toni Schmale installiert unter dem Titel „Tanke“ im Kunstraum Dornbirn ein Environment, dessen zentrales Element die titelgebende Tankstelle ist.
Technisch hochästhetisch abstrahiert, augenscheinlich dysfunktional und potenziell deplatziert lässt die „Tanke“ (2023/2024) im spannenden Wechselverhältnis mit der ehemaligen Industriearchitektur Irritations- und Transformationsmomente unmittelbar wirksam werden. Schmale verwebt die Eigenschaften und die soziale Funktion sowie die historisch und gesellschaftlich begründeten Narrative des Ortes der Tankstelle gemeinsam mit neuen skulpturalen Arbeiten zu einer zeitlosen Erzählung mit fiktiven Anklängen.
„Ich wünschte mir Schallschutzmauern und träumte, dass der Sprit einfach ausgeht, alle Autos liegen bleiben und die Tanke mit wilden Wiesenblumen des Wienerwaldes überwachsen wird, meine Freund:innen plötzlich auftauchen und wir ein Feierabendbier trinken.“ (Toni Schmale 2021)
Schmales Geschichte vom Traum der Rückeroberung durch die Natur beschwört das Bild der modernen Ruine herauf. Verbindet sich aber damit auch gleich eine Utopie? Eine Vision der Zeitenwende, für welche das Automobil in der Menschheitsgeschichte schon einmal zentral war?
Fragen dieser Art werden innerhalb der künstlerischen Arbeit nicht beantwortet. Sicher ist jedoch, dass die Menschheit vor schwer überschaubaren Herausforderungen steht – klimatisch, politisch und sozial. Schmale begegnet dieser komplexen Realität bildhauerisch auf eine Art, welche Abstraktion, Absurdität, Ambivalenz, Ironie, Witz und Irritation als pointierte Hilfs- und Stilmittel verbindet und formal auf die Spitze treibt. Sie wählt den Ort der Tankstelle als basales Zeichensystem und reduziert ihn auf wenige systemische Grundelemente, nämlich auf zwei Zapfsäulen, die auf einem Betonsockel stehen und von einer fünf Meter in die Höhe ragenden Dachkonstruktion umrahmt sind.
Die Elemente sind klar identifizierbar, aber sie verweigern ganz augenscheinlich den Dienst. Die Überdachung erscheint als Skelett ihrer selbst. Die Stahlteile sind in ihrer genuinen Funktion eingesetzt und erfüllen diese Aufgabe statischen Berechnungen folgend. Sie stellen ihre Materialität und Leistungsfähigkeit zur Schau, unverwüstlich und über alle Einflüsse erhaben. Die schlanken Säulen mit den seitlichen Schläuchen sind nur mehr Kontur. Alles ist starr und silbergrau und kalt – feuerverzinkter Stahl als perfekte Materialisierung der ewigen Bewegungs- und Tatenlosigkeit.
Das Setting der Tankstelle wird durch die neuen, im Raum verteilten Skulpturen formal und erzählerisch erweitert. In diesen Arbeiten setzt sich die Funktionslosigkeit der Tankstelle fort, doch erstreckt sie sich hier zur Gänze auf Material und Form. Schon der Herstellungsprozess der einzelnen Werke verdeutlicht das: Die Tankstelle braucht für das Dach beispielsweise technische Planungen, also Abläufe, die für jedes Bauwerk unabdingbar sind. Für die Zapfsäulen benötigt es dagegen die Wahl des richtigen Abstraktionsgrades, der das Verhältnis von angestrebter Zeichenfunktion (hier im Sinne symbolischer Erkennbarkeit) und bloßer Imitation so austariert, dass eine ästhetische, körperlich spürbare Spannung entsteht. Für die neuen Werke „sucker #1 #2“ und „sucker #3“ bleibt Schmale in der bildlichen Welt der Tankstelle – der Reifenluftdruckmessgeräte oder Staubsauger. Die Künstlerin verschmilzt bekannte mit erfundenen Formen oder Versatzstücken. Sie ringt dem Material entgegen der stählernen Härte weiche Linien ab, die zwischen Maschine und Körper oszillieren. Schmale bringt es in einem Interview von 2020 auf den Punkt: „Es entsteht das Gefühl, die Skulptur könnte etwas können, aber sie macht dann doch kein konkretes Angebot für eine bestimmte Handlung.“
In dieser stringenten Verweigerung einer Festlegung sind Irritation und Ambivalenz integrale Bestandteile der Rezeptionssituation. Das zieht sich durch Schmales gesamtes künstlerisches Werk wie ein roter Faden. Immer wieder zweifelt man am eigenen Verstehen, prallt an der Oberfläche ab, um dann doch in die Untiefen des menschlichen Daseins abzutauchen. Die Künstlerin ist international bekannt für ihre sehr spezifische Formsprache. Aus Metall, Beton oder Gummi entwickelt sie skulpturale Werke unterschiedlichen Ausmaßes, in denen beispielsweise Assoziationen zu Fitness- oder Foltergeräten nicht willkürlich, sondern referenziell angelegt sind. Diese reichen weiter in die Sphären des Fetischs, der körperlichen Optimierung, der Lustbefriedigung oder der eigenen Demontage. Schmale erweitert den Skulpturenbegriff in stetig fortschreitender Suche nach den Zwischentönen der materiellen Zustände und Formen sowie der obligatorischen Prüfung auf Nutzbarkeit des entstehenden Objekts und seiner gesellschaftskritischen Kommentarfunktion. Themen stereotyper Geschlechterzuschreibungen oder -konstruktionen und soziale Machtverhältnisse sowie deren Wechselwirkung schwingen bei Schmale in einem Subtext mit, der sich unter anderem in den mit ironischem Humor gespickten Titeln offenbart. Letztere erleichtern und erschweren den Zugang zum Werk zugleich. Jedenfalls geben sie aber Hinweise auf das, was die Form hier sein soll oder welches Möglichkeitspotenzial sie im Spiegel der Zeit offenbaren kann.
Der Zeitgeist in einer Ahnenlinie mit den historischen Narrativen spielt bei der Betrachtung der lapidar betitelten „Tanke“ in Dornbirn eine aktive, eine aktivierende und niederschwellig erfassbare Rolle. Es gelingt Schmale durch das formale Zitat eines international identifizierbaren Ortes, der integraler Bestandteil des Alltags von Millionen von Menschen ist, eine gemeinschaftliche Basis für alle Besuchenden zu installieren. Es wohnt dieser Installation ein fiktionalisierter Moment inne, der nicht nur durch die fluide Formgebung ausgespielt wird. Es scheint auch unklar, ob der Status ruinös oder zukunftsgerichtet ist. Das ganze Setting stellt dadurch die Frage nach der Zeitlichkeit. Schmale spielt überdies mit der Tankstelle als deplatziertem Ort, indem sie diese Installation nicht nur in einer ehemaligen Montagehalle zeigt. Ein baugleiches Pendant steht seit 2021 quasi im Wiener Gürtel, genauer im Stefan-Weber-Park, einem zwischen mehrspurigen Fahrbahnen eingeklemmten Streifen Grün. In ihren Installationen im öffentlichen Raum integriert, kommentiert und fordert Schmale die Eigenschaften und soziale Funktion der urbanen Räume oder Landschaften heraus, für welche die Konzepte entstehen. Die „Tanke“ kann in Dornbirn und in Wien über ihren international funktionierenden Modellcharakter und die Multiperspektive der kulturellen Codierung ein Ort der Kommunikation sein. Ein Treffpunkt, der Oberfläche und Tiefe je nach Benutzung und eigenem Bedürfnis ermöglicht.
Toni Schmale ist 1980 in Hamburg geboren und lebt und arbeitet in Wien.
Toni Schmale
„Tanke“
16. Februar bis 9. Juni 2024
Kurator: Thomas Häusle, Direktor Kunstraum Dornbirn