Status – 24 Dokumente von heute

Wenige Jahre nach dem digital turn, dem Wechsel von der analogen zur digitalen Produktion und Speicherung von Bildern, fragt das Fotomuseum Winterthur in der Ausstellung "Status – 24 Dokumente" von heute nach dem aktuellen Status, dem Stand und Wert des fotografischen Dokuments und des Dokumentarischen. War der Begriff Status früher durchaus positiv besetzt und markierte eine selbstbewusste Zurschaustellung des eigenen Standes, der eigenen Befindlichkeit, so fragen wir heute zuweilen fast ängstlich nach dem "Stand der Dinge"; wohlwissend, dass dieser oft ungewiss, prekär und zumeist im Fluss ist.

Diese treibende Ungewissheit macht sich auch im Feld der Fotografie breit. Die schnelle Verbreitung und Verfügbarkeit von Bildern und Videos in den Printmedien, im Internet, auf sozialen Plattformen wie Facebook, Google, Twitter oder Flickr, haben zu neuen Formen der Kommunikation mit dokumentarischen Bildern geführt. Oft kennen wir die Autoren der Bilder nicht, wissen nichts mehr von den Wegen, die ein Bild hinter sich gelassen hat, bis es zu uns gelangt. Wie können diese fotografischen Dokumente verstanden werden, wie funktioniert das Schema des Sehens, Verstehens, Verwerfens oder Speicherns in unserem heutigen, multimedialen Umfeld?

Mit den 24 ausgewählten, exemplarischen "Dokumenten" dieser Ausstellung wird ein komplexes Netz aus losen und festeren Bezügen geknüpft, das den Status des dokumentarischen Bilds im Hier und Jetzt einfängt. Das dabei vorgeführte Hin- und Herspringen zwischen Themen und medialen Formen, zwischen offiziellen Pressebildern (Wladimir Putin beim Angeln) und anthropologischen Untersuchungen des Familienbildes (die Vox Populi-Arbeit von Fiona Tan) entspricht in etwa unsere heutigen Seherfahrung zwischen High und Low, zwischen Unmittelbarkeit und Tiefgang. Das Erobern fremder Orte oder die stille Annäherung an ein persönliches Thema sind andere Pole der Ausstellung.

Während Trevor Paglen mit wissenschaftlicher Akribie verdeckt operierende US-Satelliten am Nachthimmel nachweist, retten Sammy Baloji, Jérôme Leuba sowie Lara Almarcegui abseitige Orte und Biografien vor dem Vergessen. Noch 2009 konnte Almarcegui im Osten von London wild wuchernde Brachflächen fotografieren, die heute überbaut sind, und auf denen im Sommer 2012 die Olympischen Sommerspiele stattfinden.

Die Ausstellung Status – 24 Dokumente von heute geht fotografischen Spuren und Geschwindigkeiten analoger wie digitaler Natur nach. Moyra Davey taucht mit ihrer Videokamera in den für sie wichtigen Bildband "Portraits in Life and Death" von Peter Hujar ein und schreibt damit eine Parabel des entschleunigten Lesens und Schauens. Das heutige Leben mit wechselnden Identitäten und Selbstdarstellungen untersucht Willem Popelier anhand seiner Showroom Girls, die exemplarisch das Verhalten einer jungen Generation in sozialen Netzwerken widerspiegeln.

Im 24-Stunden-Panorama des medial bekannten Handelssaals der Deutschen Börse in Frankfurt, erdacht und realisiert von Jules Spinatsch, werden wir Zeuge des zeitgleichen Aufnehmens, Senden, Empfangens und Speicherns in Form einer 14-Meter-Wandinstallation, deren Einzelteile im Laufe des Eröffnungstags am 8. Juni 2012 im Fotomuseum Winterthur zusammenfinden und einen kompletten Kalendertag an der Börse abbilden werden.

KünstlerInnen der Ausstellung: Lara Almarcegui, Dimitry Astakhov, Sammy Baloji, Walead Beshty, Ursula Biemann, Fernando Brito, Moyra Davey, Lukas Einsele, Cedric Eisenring/Thomas Julier, Michael Elmgreen/Ingar Dragset, Alfredo Jarr, Jérôme Leuba, Market Photo Workshop, Erica Overmeer, Trevor Paglen, Willem Popelier, Gosha Rubchinskiy, Jules Spinatsch, Hiroshi Sugimoto, Fiona Tan, Jonas Unger, Unbekannter Taliban, Lidwien van de Ven, wearethe99percent

Zur Ausstellung erscheint ein englisch-deutscher Katalog: "Status – 24 Dokumente von heute." Hg. Daniela Janser/Thomas Seelig, Fotomuseum Winterthur / Motto Distribution, 2012, 108 Seiten, Format 37 x 28 cm, Deutsch / Englisch. Preis: CHF 30.- Publikation mit einer umfangreichen Text- und Bildsammlung. 24 Autoren reagieren in Kurzessays, Kommentaren, Interviews und einem Gedicht auf die 24 ausgewählten Dokumente. Beiträge von Kim Barker, Nadine Barth, Rory Bester, Lukas Bärfuss, Reinhard Braun, Elisabeth Bronfen, Alfonso Morales Carillo, Meredith Haaf, Moritz Leuenberger, Bettina Lockemann, Thomas Macho, Andrey Parshikov, Heribert Prantl, Christoph Ribbat, Adrian Rifkin, Martha Rosler, Philipp Sarasin, Alain Servais, Juri Steiner, Mirelle Thijsen, Philip Ursprung, Kai van Hasselt, Michael Wetzel u.a.

Status – 24 Dokumente von heute
9. Juni bis 26. August 2012