Starke deutsche Präsenz und viele Stars

Noch ist das Programm der 62. Berlinale (9. – 19.2. 2012) nicht ganz komplett. Bislang kommen die großen Namen im Wettbewerb vor allem aus Deutschland, daneben muss man bei den zahlreichen Weltpremieren aber auf Überraschungen und Entdeckungen hoffen. An Starauflauf dürfte es dagegen nicht mangeln, denn hochkarätig besetzt sind viele der gezeigten Filme.

Eine Gratwanderung ist die Programmierung des Eröffnungsfilms, dem immer besonders viel mediale Beachtung zuteil wird. Schwere Filmkunst zeigt man hier selten, setzt vielmehr auf einen publikumsattraktiven Film, der so hochkarätig besetzt ist, dass jedes größere Medium darüber berichten muss. Zudem soll es natürlich eine Weltpremiere sein.

Die beiden letzten Kriterien dürften den Ausschlag für Benoît Jacquots "Les Adieux à la reine" gegeben haben. In seinem neuen Film erzählt der Franzose, der 2010 mit "Au fonds des bois" wenig erfolgreich das Filmfestival von Locarno eröffnen durfte, aus der Sicht der Dienerschaft von der Französischen Revolution. Zur Premiere werden unter anderem die Stars Diane Kruger und Virginie Ledoyen in Berlin erwartet, sodass diesem Auftakt auch großes mediales Interesse garantiert sein dürfte.

Blitzlichtgewitter wird auch niedergehen, wenn Robert Pattinson, Uma Thurman und Kristin Scott Thomas, die in Declan Donnellans Regiedebüt "Bel Ami" spielen, über den roten Teppich vor dem Berlinale-Palast schreiten. Hoffen muss man freilich, dass dieses Debüt nicht wegen seiner Stars, sondern wegen seiner filmischen Qualitäten eingeladen wurde. Für Glamour an der Spree wird aber sicher auch Meryl Streep sorgen, deren Auszeichnung mit einem Goldenen Ehrenbären von einer kleinen Reihe ihrer Filme bis hin zu ihrem aktuellen Film "The Iron Lady" begleitet wird.

Dass im Wettbewerb um den Goldenen Bären die Deutschen zahlenmäßig so präsent sind wie in Cannes die Franzosen und in Venedig die Italiener ist Tradition, allerdings können sie nicht immer so viel versprechende Namen ins Rennen schicken wie heuer. Hans-Christian Schmid legt nach seiner internationalen Produktion "Der Sturm" mit "Was bleibt" ein rein deutsches Familiendrama vor. Ebenso Stammgast bei der Berlinale wie Schmid - er ist nach "Lichter", "Requiem" und "Sturm" schon zum vierten Mal im Wettbewerb - ist Christian Petzold., der in "Barbara" wiederum mit Nina Hoss in der Hauptrolle von einer Ärztin in der DDR erzählt.

Der dritte Deutsche im Wettbewerb ist der Matthias Glasner, der vor einigen Jahren mit dem Vergewaltigerdrama "Der freie Wille" für heftige Kontroversen sorgte. Ob er mit "Gnade", in dem er mit Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr erzählt, wie die Fahrerflucht einer Frau Bewegung in eine Beziehung bringt, ähnlich polarisieren wird, wird sich zeigen.

Für Kontroversen könnte auch der neue Film von Brillante Mendoza sorgen. Der Philippino, der 2009 in Cannes das Publikum mit "Kinatay" schockte, zeigt in Berlin "Captive", in dem er mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle von der Entführung einer französischen Menschenrechtlerin durch eine muslimische Gruppe erzählt. Während Mendoza zu den großen Regisseuren des aktuellen Kinos zu zählen ist, liegen die Glanzzeiten der Brüder Taviani leider schon 30 Jahre zurück. Schön wäre es freilich, wenn sie im Alter von 80 Jahren mit "Cedare deve morire" ("Caesar must Die") nochmals an Meisterwerke wie "Padre Padrone" oder "La notte di San Lorenzo" anknüpfen könnten.

Zu den Berlinale-Stammgästen zählt auch der Chinese Zhang Yimou. Hier begannen vor 25 Jahren mit "Rotes Kornfeld" seine Karriere und der Erfolgsrun des chinesischen Kinos. Zuletzt machte er Schlagzeilen durch die Regie bei der Eröffnungs- und Schlussfeier bei den Olympischen Spielen in Peking. In "The Flowers of War", der außer Konkurrenz läuft, erzählt er von einem Bestattungsunternehmer (Christian Bale), der während des Nanjing-Massakers 1937 eine Gruppe von Schülerinnen vor den Japanern zu retten versucht.

Außer Konkurrenz laufen auch die neuen Filme anderer Regisseure, von denen großes Kino zu erwarten ist und jedenfalls Starpower geboten wird. Steven Soderbergh legt mit "Haywire" einen Agentenfilm vor, in dem Gina Carano, Ewan McGregor und Michael Fassbender die Hauptrollen spielen, Martial-Arts in 3D und mit Kampfkunst-Star Jet Li bietet Tsui Hark mit "Flying Swords of Dragon Gate" und Stephen Daldry beschäftigt sich in seiner Jonathan Safran Foer Verfilmung "Extremely Loud and Incredibly Close" mit den Terroranschlägen vom 11. September 2011. Mit Tom Hanks, Sandra Bullock und John Goodman mangelt es auch hier nicht an Stars.

Auf großes Kino setzt auch das "Berlinale Special": Jason Reitmans neue Komödie "Young Adult" soll hier ebenso Presse wie Publikum begeistern wie der Bollywood-Film "Don – The King Is Back". Kevin Macdonald zeigt seinen Dokumentarfilm über Bob Marley ("Marley"), auf überbordende Fabulierfreude und Einfallsreichtum darf man sich bei Guy Maddins "Keyhole" freuen und klassische Kinokunst bringt die restaurierte Fassung von Michael Powells und Emeric Pressburgers "The Life and Death of Colonel Blimp".

Der Wettbewerb hat dagegen – abgesehen von den schon genannten Regisseuren – kaum fixe Größen zu bieten. Aber man darf auf jeden Fall gespannt sein, was die Schweizerin Ursula Meier mit "L´enfant d´en haut" ihrem großartigen Debüt "Home" folgen lässt, was Billy Bob Thornton mit seiner ersten Regiearbeit seit elf Jahren gelingt ("Jayne Mansfield´s Car") oder ob Benedek Fliegauf nach dem formal bestechenden, aber hohlen "Womb" auch ein inhaltlich aufregender Film gelingt.

Auffallend am Wettbewerb ist die Dominanz europäischer und nordamerikanischer Produktionen, während Lateinamerika völlig fehlt, Afrika nur mit einer Koproduktion und Asien abgesehen von Brillante Mendoza und dem indonesischen Film "Postcards from the Zoo" nur außer Konkurrenz vertreten ist.

Globaler ist hier das Programm in der Schiene "Panorama". Eröffnet wird mit "Indignados" des Roma Tony Gatlif. Österreich ist mit der Julian Roman Pöslers Verfilmung von Marlen Haushofers "Die Wand" sowie Umut Dags "Kuma" vertreten. Aus Taiwan kommt ein Episodenfilm, der unter der Leitung von Hou Hsiao-hsien entstand, Südostasien ist mit mehreren Produktionen vertreten, Lateinamerika immerhin mit "Xingu" des Brasilianers Cao Hamburger, das unabhängige US-Kino unter anderem mit Ira Sachs "Keep the Lights On".

Weniger bekannte Namen als in den letzten Jahren finden sich im Forum des Internationalen Films, in dem ästhetisch avancierte Filme gezeigt werden. Auch hier ist Österreich mit Anja Salomonowitz´ "Spanien" und Ruth Maders Spielfilm "What is Love" doppelt vertreten. Der Schweizer Manuel von Stürler porträtiert in "Hiver nomade" zwei Schafhirten in der winterlichen französischen Schweiz und Thomas Heise blickt in seinen Dokumentarfilm "Die Lage" auf deutschen Alltag, während sich drei japanische Filme mit dem Tsunami vom 11.3. 2011 und dem Gau des Atomkraftwerks Fukushima auseinander setzen. Sperriges ist vom Kanadier Denis Côté zu erwarten, der "Besiaire" präsentiert, von bitterer Not erzählt der Urugayer Rodrigo Plá in "The Wait", gewohnt stark vertreten ist das US-Independent-Kino mit drei Filmen.

Nicht übersehen sollte man bei der Berlinale auch die Reihe "Perspektive Deutsches Kino", in der man aufstrebende deutsche Regisseure entdecken kann, oder die Sparte "Generation" und "Generation Kplus", in der man Kinder- und Jugendfilme sehen kann, die es kaum einmal ins "normale" Kino schaffen. Und die Retrospektive widmet sich schließlich unter dem Titel "Die rote Traumfabrik" den Filmen, die zwischen 1922 und 1936 in dem russischen Meschrabpom-Filmstudio und seinem deutscher Zweig Prometheus entstanden. Der Bogen spannt sich dabei von Klassikern des sowjetischen Revolutionsfilms wie "Das Ende von Sankt Petersburg" (1927) bis zum SciFi-Roboterfilm "Der Untergang der Sensation" (1935).