Die Gemälde von Stanislava Kovalcikova kreisen um die Fragen der persönlichen Identität und deren Konstruktion. Sie halten oft intime, flüchtige Momente fest, denen auch traumhafte, surrealistische Aspekte innewohnen. Das Belvedere 21 in Wien gibt erstmals in Österreich Einblick in ihr anziehendes und rätselhaftes Werk der Künstlerin.
Stanislava Kovalcikova entwirft traumhafte, skurrile Szenerien mit Mensch- und Tierwesen, die abseits erwartbarer Normen agieren. Die Verfremdung des Vertrauten setzt die Malerin als zentrales Stilmittel ein. Die Protagonist:innen ihrer Gemälde entziehen sich allen Zuordnungen, sind genderfluid, Fantasiewesen unklarer sozialer Herkunft, zeitlosen Alters und unbestimmbarer Hautfarbe, mit undurchschaubaren Absichten. Ihre Verbindungen zueinander sind nicht eindeutig interpretierbar, erscheinen fesselnd und verstörend.
Formal nimmt Kovalcikovas figurative Malerei Anleihen beim Kanon der Kunstgeschichte. Die Künstlerin ist eine profunde Kennerin der Malereigeschichte, zitiert alte Meister wie Tizian, Giorgione, Goya, Gauguin, van Gogh oder Manet und kombiniert diese Referenzen mit einem konsequent zeitgenössischen Blick auf brisante Themen der Gegenwart. Ihre Gemälde verbinden Szenen menschlicher Gemeinschaft mit dem Mythos des Dionysos – Gott des Weins und der Ekstase. Durch die tragikomische Darstellung der nächtlichen Ausschweifungen stellt die Künstlerin Bezüge zu lustbetonter Sexualität her, die gegenwärtig als bedrohtes Refugium erscheint.
Kovalcikova beschreibt ihre Position als Malerin als eine der Fremdheit, der grundlegenden Nichtübereinstimmung, des Blicks von außen – geprägt vom Gefühl der Heimatlosigkeit und des Anderseins, der Erfahrung früher Mutterschaft im studentischen Umfeld der Kunstakademie Düsseldorf und ihrer mehrjährigen nächtlichen Tätigkeit als Türsteherin in einem Club.
Ihre Arbeitsweise ist extrem langwierig und meditativ – das Entstehen jedes Gemäldes nimmt mehrere Jahre in Anspruch mit wiederholten Übermalungen und Bearbeitungen der Oberfläche. Dies ergibt eine immer wieder von toxischen Rottönen durchbrochene Düsternis, ein paradoxes mattes Leuchten und ungewöhnlich heterogene Oberflächen mit Glanz und Glätte neben Schrunden und Kratzern.
Die Intentionen der Künstlerin erschließen sich ein Stück weit durch ihre Inszenierung der Ausstellung im Belvedere 21. Der Titel "Grotto" ist angelehnt an die künstlich angelegte Grotte in Hugh Hefners Villa in Los Angeles, in der der Playboy-Herausgeber Partys gab. Nach seinem Tod wurden Berichte über sexuellen Missbrauch und Drogenexzesse an diesem Ort publik. Der Titel weist auf das Wirkungsgefüge aus toxischer Männlichkeit, Geld, Macht und der sexuellen Ausbeutung von Frauen hin. Vom italienischen Wort "grotto" leitet sich auch der Begriff "Groteske" ab, der in der Kunstgeschichte für Verstöße gegen formale Regeln und Gestaltungsprinzipien angewendet wird: ein Leitmotiv in Kovalcikovas Werk.
Der Eindruck einer in Kovalcikovas Malerei entworfenen Parallelwelt, in der Sehnsüchte, Begierden, Bedrohungen und Ängste surreal ausagiert werden, überträgt sich in den Ausstellungsraum mittels der an den Fenstern angebrachten orangefarbenen Folie. Das gefilterte Tageslicht verändert nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. Man betritt die Ausstellung und fällt aus dem chronologischen Ablauf der eigenen Wahrnehmung.
Stanislava Kovalcikova (geboren 1988 in der Tschechoslowakei) lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Stanislava Kovalcikova. Grotto
16. September 2022 bis 5. Februar 2023