Die letzten Jahre vor der Jahrhundertwende war der tschechische Künstler Alphonse Mucha (1860–1939) in Paris als Illustrator und Gestalter von Büchern und Magazinen tätig. Seinen herausragenden Platz in der Kunstgeschichte und im Bildgedächtnis späterer Generationen verdankt er jedoch seiner grossformatigen Druckgrafik. Durch seine einzigartige Handschrift verbinden wir Mucha untrennbar mit dem Jugendstilplakat: Ornamentale Theaterplakate und anmutige Produktwerbungen mit sinnlichen Frauenfiguren versetzen uns zurück ins Paris der Belle Époque.
Verträumt blickende junge Frauen, die als Projektionsfläche sämtliche Facetten zwischen realer Person und Allegorie bedienen konnten, bilden das zentrale Motiv von Alphonse Muchas grafischem Werk – und auf ihnen liegt auch das Augenmerk der Ausstellung im Museum Bellerive. Mit Ranken und Blüten geschmückt, werden sie bald als Göttinnen übersteigert – denken wir etwa an die Schauspielerin Sarah Bernhardt –, bald ziehen sie durch aufreizende Posen die Blicke auf sich. Als Objekte der Begierde verkörpern sie förmlich die um 1900 aufkommende Kaufkraft und verführen zu grossstädtischem Vergnügen.
Sie werben für Zigarettenpapier der Marke "JOB", für Champagner, Kekse und Parfüm oder Ferienreisen ans Mittelmeer. Merkmale des "Style Mucha" bilden die zum Vordergrund hin ausufernden Gewänder, die sorgfältige Modellierung von Händen und Gesicht, sowie die üppigen Haarlocken, die um die Jahrhundertwende als "Muchas Makkaroni" bezeichnet wurden. Zudem eroberten Frauenfiguren als Verkörperungen der Künste, der Natur oder des Lebenslaufs die städtischen Wohnungen des Pariser Bürgertums.
Beflügelt von der Strahlkraft dieser Werke, begibt sich die Ausstellung auf Spurensuche in der Gebrauchsgrafik nachfolgender Generationen. So erlebte Alphonse Mucha in den 1960er und 1970er Jahren eine regelrechte Renaissance. Seine Plakate wurden massenhaft reproduziert und deren künstlerische Sprache schlug sich in den Konzertplakaten nieder, die in San Francisco im Auftrag von Family Dog Productions entstanden. Passend zur psychedelischen Musik schufen Grafiker wie Wes Wilson, Bonnie MacLean und Stanley "Mouse" Miller ein neues Plakatgenre, dessen typische Merkmale kaleidoskopisch grelle Farben, fliessende Formen und stark ornamentierte Schriften sind.
Auch die Hüllen der Langspielplatten der Hippiegeneration weisen eine ganze Reihe von Werkzitaten Alphonse Muchas auf, zu gut passten seine blumengeschmückten Mädchen in den Flower-Power-Zeitgeist. Ab den 1990er Jahren dann begegnen uns erneut Mucha-Anleihen auf den Titelseiten berühmter US-amerikanischer Comics der Verlage Marvel und DC. Die Illustratoren MW Kaluta, Joe Quesada und J.H. Williams III verwendeten teils Muchas gedämpfte Farben, teils übernahmen sie die räumliche Gliederung wie das kreisrunde Feld, das die zentrale Figur umschliesst.
Zeitgenössische Mangaka – die Zeichnerinnen und Zeichner japanischer Comics –schliesslich arbeiten mit überraschend starken Bezügen auf das stilistische Vokabular Alphonse Muchas, insbesondere auf dessen Fähigkeit, Bewegungen festzuhalten. Kohime Ohse, Naoko Takeuchi oder die Zeichnerinnen von Clamp hauchen den Heldinnen ihrer Abenteuer mithilfe seiner Bildsprache vibrierendes Leben ein. Was Alphonse Mucha einst aus der japanischen Kunst in sein Werk hat einfliessen lassen, strahlt in den Arbeiten der Manga-Generation wieder auf Japan zurück.
Mucha Manga Mystery
Alphonse Muchas wegweisende Grafik
6. März bis 14. Juli 2013