Much like Zero

Wie real oder wie abstrakt ist Fotografie? Diese Frage beschäftigt die Fotografie seit ihrer Erfindung. Oliver Wendell Holmes schlug schon 1859 vor, die Welt in ihrer Ganzheit zu fotografieren, danach könne man sie abbrennen: "Die Form ist in Zukunft von der Materie getrennt". Alvin Langdon Coburn räsonierte 1916: "Warum soll nicht auch die Kamera die Fesseln konventioneller Darstellungskunst abstreifen und etwas Frisches, bisher nicht Erprobtes wagen?".

In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts spricht man von "Generativer Fotografie", von selbsterzeugender Fotografie, von Erzeugungsästhetik. Diese Frage kommt nicht zur Ruhe. In jüngster Zeit ist das Thema wieder hochaktuell. In Arbeiten von Wolfgang Tillmans zum Beispiel scheint die Vorstellung durch, dass alle Fotografien gegenständlich, konkret und abstrakt zugleich sind, dass alle "Konstruktionen (sind), die durch Übersetzungen und Manipulationen entstehen".

Shirana Shahbazis Arbeit kreist seit zehn Jahren im Spannungsfeld von Gegenständlichkeit und Abstraktion, Indexikalität und freier Bildlichkeit. Sie stellte in dieser Zeit oft überraschende Bilder zueinander. Neben einem abstrakten Farbverlauf zum Beispiel hängen zwei Porträts, danach eine schwarzweisse Aufnahme einer steppenartigen Landschaft, gefolgt von einem Stillleben mit Beeren und Früchten, schliesslich zwei Teppiche, geknüpft nach Fotografien eines jungen Mannes und einer sonnendurchschienenen Landschaft. Diese Abfolge zeigt, wie sehr sie wiederholt um die Frage der Repräsentation in der Fotografie rang, wie sie vor intensivfarbenen, monochromen Hintergründen mit ihr spielte, wie sie auch mit ihr haderte, an ihr zweifelte.

In ihren Werken ist eine grosse Bilderlust zu spüren: Porträts, Landschaften, Stadtbilder, Stillleben und abstrakte Farbflächen gehören zu den Genres, den Werkzeugen ihrer Kunst. Inszeniert, vorgefunden, beobachtet, aufgefangen, direkt auf Fotopapier geprintet oder von Malern zu riesigen Billboards vergrössert, früher auch zur Wandtapete verarbeitet und repetitiv als Muster, als Rapport, als Fond aufgeklebt, oder zu Teppichen, zu strahlenden, leuchtenden, warmen Bildteppichen verknüpft. Doch immer wieder durchsetzte sie die Bilderlust mit Fragezeigen, mit Hinterfragungen – bis sie den totalen Schritt in den Farbraum, den abstrakt-konkreten glühenden Bildraum wagte. Die neusten Bilder sind weitgehend abstrakt, sind geometrische Muster, farblichrhythmische Überlagerungen im Grossformat. Shirana Shahbazi erzeugt hier in abstrakter Bildlichkeit eine ergreifende, strahlende Unmittelbarkeit.

"Wir werden keine Welt gestalten und wollen es auch nicht direkt. Sich gestalterisch denkend zu bewegen genügt fürs Erste, vielleicht wird etwas Neues daraus, nur eben nicht, indem es von vornherein mit einem neuen Weltbild in Einklang stehen soll, sondern als Selbstläufer, in der Hoffnung, dass es auch schön aus dem Ruder läuft und wunderbare Bastarde bildet." Diese Zeilen des deutschen Malers Bernd Ribbeck formulieren einen Grundton der neuen Beschäftigung mit der Abstraktion, in der Shirana Shahbazi eine wichtige Rolle spielt. Much like Zero ….

Die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zeigt nebst vielen neuen und neusten Fotografien auch den (gestrafften) Werkteppich, an dem Shirana Shahbazi seit rund zehn Jahren arbeitet. Zur Ausstellung erscheint bei Steidl, Göttingen, ein Buch.

Shirana Shahbazi – Much like Zero
3. September bis 13. November 2011
Halle und Galerie