Höhere Mächte - Von Menschen, Göttern und Naturgewalten

In ihrer gemeinsamen Frühjahrsausstellung erzählen das Kunsthistorische Museum, das Weltmuseum Wien und das Theatermuseum von der Hinwendung zu höheren Mächten in verschiedenen Kunstrichtungen, Kulturen und Epochen. Unter dem Motto "Seeing across Cultures" greifen rund 100 Objekte, die zum Teil noch nie öffentlich präsentiert wurden, dieses aktuelle Thema auf und schaffen für die Besucherinnen und Besucher einen Raum für überraschende Begegnungen, Assoziationen und Emotionen.

Höhere Mächte - bzw. die menschliche Vorstellung davon haben seit jeher die Kulturen der Welt geprägt. Naturgewalten, Seuchen oder politische Systeme vermitteln immer wieder das Gefühl, Mächten ausgesetzt zu sein, die Menschen kaum beeinflussen können, die sich aber auf ihr Leben auswirken, es verändern und bestimmen.

Initialzündung für die Ausstellung war eine Beobachtung zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020: Rund um die Pestsäule am Graben im ersten Bezirk in Wien, die nach der überstandenen Epidemie 1679 errichtet wurde, wuchs eine Sammlung vielfältiger Votivgaben wie Kerzen, Blumen und Zeichnungen. In dieser für alle Menschen völlig neuen und unbekannten Bedrohungslage schien das Gebot der Stunde zu sein, Mut, Schutz und Trost bei einer höheren Macht zu suchen und an ihren Beistand zu appellieren.

Einem Team von Kurator_innen des Kunsthistorischen Museums, des Weltmuseums Wien und des Theatermuseums kamen Dieter Bonhoeffers Worte "Von guten Mächten treu und still umgeben..." in den Sinn. Es machte sich auf die Suche nach dem Wesen dieser höheren Mächte und aussagekräftigen Spuren deren Existenz in den Sammlungsbeständen. Die vorgefundenen Objekte zeigen deutlich, in welch mannigfaltigen Formen und Facetten sich dieses Thema in Kult und Kunst niedergeschlagen hat. Die Zusammenstellung fokussiert dabei bewusst auf die enge Verschränkung und direkte Gegenüberstellung von Objekten unterschiedlichster Herkunft.

Naturgewalten

Beim Betreten von Saal I der Ausstellung ziehen die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde in den Bann. Als positive Kräfte schaffen sie den Lebensraum und die Grundlage zur Existenz des Menschen. Als entfesselte Natur können sie hingegen Bedrohung und Zerstörung bedeuten, wie beispielsweise von Peter Paul Rubens (1577-1640) in seiner "Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis" eindrücklich dargestellt. Das flüchtige Element Luft eröffnet die Ausstellung, versinnbildlicht durch ein luftiges Bühnenkostüm, das von Ernst Fuchs (1930-2015) entworfen wurde. Während der Sturmdämon der Tikuna in Brasilien u. a. Epidemien verbreitet, scheint er auch seinem Unmut über die Zerstörung der Urwälder Luft zu machen; dagegen sind in Oskar Laskes (1874-1951) Entwurf "Landschaft mit Luftgeistern" zu Shakespeares "Der Sturm" hilfreiche Luftgeister im Einsatz, um die Ehre des gestürzten Prospero zu retten.

Das Wasser vereint Ruhe und Bewegung. Giuseppe Arcimboldos (1526-1593) Gemälde "Das Element Wasser" versinnbildlicht den Reichtum der Natur. Als Grundlage allen Lebens sorgt Wasser einerseits für Fruchtbarkeit, andererseits für größte Zerstörung und kann in bestimmten Situationen als göttliche Bestrafung gedeutet werden, wie z.B. bei Lodovico Ottavio Burnacinis (1636-1707) Darstellung der Sintflut.

Die Erde verleiht dem Menschen Stabilität und Beständigkeit. Pieter Bruegels (1525/1530-1569) "Vorfrühling" zeigt den Menschen im Zyklus der Jahreszeiten als Teil der Natur. Andere Objekte, wie z.B. ein frühbarocker Handstein aus der Kunstkammer, ursprünglich ein außergewöhnliches "Geschenk" der Erde, erinnert aus heutiger Sicht an deren Ausbeutung.

Das Feuer schenkt mit seiner Kraft Wärme und leichter verdauliche Nahrung. Es birgt aber auch Zerstörung, wie die traurigen Reste des 2018 bis auf die Grundmauern niedergebrannten Nationalmuseumsin Rio de Janeiro bezeugen.

Darstellungen von Naturkatastrophen werden mit Naturgottheiten, antiken Mythen, biblischen und modernen Erzählungen in Dialog gestellt.

Irdische Mächte

In Saal II werden die Strategien und Mechanismen hinterfragt, die irdische Machthaber_innen entwickelten, um ihre Stellung, ihr Tun und Handeln als Zeichen des Willens und Einflusses höherer Mächte zu demonstrieren und damit zu legitimieren. Insignien wie Kronen, Federhüte oder kostbare Kleidungsstücke betonen bis heute den besonderen, in manchen Fällen vermeintlich gottgegebenen Machtanspruch von weltlichen und religiösen Herrschenden.

Als höhere Instanz agieren irdische Mächte in Fragen der Gerichtsbarkeit, sie fällen Urteile über Leben und Tod, über Krieg und Frieden. Gerichtsszenen und Schlachtenbilder geben darüber detailreich Auskunft.

Der Saal wird von der monumentalen Tapisserie "Die Schlacht bei Gaugamela (Arbela)", nach einem Entwurf von Charles Le Brun (1619-1690), geprägt, die eine Episode aus dem Leben Alexanders des Großen erzählt.

In Kontrast dazu steht die königliche Kopfbedeckung aus der Demokratischen Republik Kongo als prestigeträchtige Insignie, die auch sakrale Funktionenerfüllte.

Der großformatige Stich zur "Erbhuldigung Maria Theresias" (Gustav Adolf Müller, 1694-1796, nach Andreas Altomonte, 1699-1780) aus dem Theatermuseum, aber auch ein Tropenhelm aus dem Weltmuseum Wien zeigen, dass solche Insignien neben ihrem materiellen Wert vor allem mit einer symbolischen Bedeutung behaftet sind: Herrschaft über die Völker des Reiches im Fall Maria Theresias, koloniale Ansprüche im Fall des Tropenhelms.

Irdische Mächte können Konflikte nicht nur verursachen, sondern auch lösen oder entschärfen - in einer idealen Welt sollten ihre Entscheidungen dem Wohlergehen aller Menschen dienen.

In Verbindung treten

Saal III widmet sich einer menschlichen Sehnsucht, die allen Kulturen dieser Welt gemein ist: mit höheren Mächten in Kontakt zu treten. Mithilfe von Ritualen, Gebeten und Amuletten wird seit jeher um Hilfe, Schutz und Beistand angesucht. Das sog. Horoskop-Amulett Wallensteins sollte mit Sicherheit schützende Wirkung auf seinen Träger übertragen, auch wenn die Verbindung mit Wallenstein, dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee im Dreißigjährigen Krieg, reine Spekulation ist. Schaman_innen und Priester_innen stehen Menschen in Gefahren als Mittler_innen und Helfer_innen zur Seite. Die Verbindung zu Gottheiten wird über Opfergaben an Hausaltären und über Kultbilder gesucht. In diesem Saal befindet sich auch der persönliche Altar des peruanischen Schamanen Eduardo Calderon (1930-1996), der sich der Diagnose und Heilung von Krankheiten verschrieben hatte. Verpackt in einem unscheinbaren Koffer begleitete er ihn auf seinen internationalen Reisen, so auch nach Österreich.

Glücksbringer und Kraftobjekte begleiten Menschen oft ein Leben lang. Sie sollen positive Energien anziehen und das Gute verstärken. Einer Einladung im Vorfeld der Ausstellung, persönliche Glücksbringer einzureichen, wurde sehr bereitwillig entsprochen. Elf dieser privaten Leihgaben - vom magischen Drachen-Stein aus China über einen Plüschelefanten aus Deutschland bis zu einem roten Wollfaden aus Tibet - sowie die ihnen eigenen Geschichten werden unmittelbar neben den Kunstwerken der Sammlungen in diesem Saal präsentiert.

Doch gibt es auch Menschen, die den Kontakt zu einer höheren Sphäre strikt ablehnen, wie Alfred Rollers (1864-1935) Verfügung "Im Todesfall" deutlich macht.

Den Schlusspunkt der Ausstellung setzt der ekstatische Tanz. Ein Teufelstänzer aus Bolivien tanzt neben dem göttlichen Shiva und dämonischen Tempeltänzern vor dem quirligen "Venusfest" von Peter Paul Rubens (1577-1640). Das Ritual der Verehrung dieser Göttin der Liebe versetzt alle und alles rund um sie in geradezu orgiastische Lebensfreude.

Raum für Gedanken und Notizen

Um eine aktuelle Perspektive auf das Thema zu werfen, wurde das Publikum im Vorfeld eingeladen, sich aktiv und kreativ am Ausstellungsprojekt zu beteiligen.

Zahlreiche Menschen folgten der Einladung, ihre persönlichen Glücksbringer und Talismane für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Neben elf ausgewählten Objekten, die in Saal III gemeinsam mit den Kunstwerken aus den Sammlungen des KHM-Museumsverbands zu sehen sind, werden alle weiteren Einreichungen digital in Saal IV präsentiert.

Die im Rahmen einer Online-Schreibwerkstatt entstandenen Texte finden sich ebenfalls in Saal IV wieder. Abbildungen von fünfzehn Ausstellungsobjekten dienten den Teilnehmer_innen als Inspiration, ohne zusätzliche Erklärungen. Die Texte zeigen, welche Assoziationen, Gedanken und Geschichten bei der Betrachtung der Sammlungsstücke in Verbindung mit dem Ausstellungsthema entstanden; sie geben Einblick in Gedankenräume von Betrachter_innen, sind aber keine Museumstexte im gewohnten Sinne. Die durchaus heterogenen Beiträge sollen den Besucher_innen als Angebot zur Inspiration und zur Erweiterung eigener Betrachtungsweisen dienen. Eine Auswahl hat Eingang in die Begleitpublikation zur Ausstellung gefunden, vollständig sind die Texte ebenfalls in digitaler Form in Saal IV zu sehen.

Das Publikum ist dazu eingeladen, seine Gedanken, Gefühle oder Ansichten zum Thema höhere Mächte zu teilen: In Saal IV gibt es die Gelegenheit, diese an einer extra dafür vorgesehenen Wand zu hinterlassen.

Höhere Mächte - Von Menschen, Göttern und Naturgewalten
18. Mai bis 15. August 2021