Große Vielfalt, aber kein herausragendes Meisterwerk

11. Juni 2007
Bildteil

Enttäuschungen blieben dem Besucher beim 16. Internationalen Film Festival Innsbruck weitgehend erspart. Ein ungemein abwechslungsreiches Programm bot der Wettbewerb, die überragenden Meisterwerke fand man aber – wie nicht anders zu erwarten - bei der Hommage an Akira Kurosawa.

In seinem modernen Einfamilienhaus hoch über der japanischen Großstadt gerät der Schuhfabrikant Gondo in Streit mit seinen Partnern. Wenig später wird versehentlich statt Gondos Sohn der seines Chauffeurs entführt. Soll der Geschäftsmann zahlen und seine materielle Existenz aufs Spiel setzen oder das Leben des Jungen riskieren. Die Polizei schaltet sich ein und versucht die Anrufe des Entführers zurück zu verfolgen.

Etwa die ersten 45 Minuten spielt Akira Kurosawas »Tengoku to Jigoku« (»Zwischen Himmel und Hölle«), eine Verfilmung von Ed McBains Roman »Kings Ransom«, beinahe ausschließlich im Wohnzimmer von Gondos Haus. Viel geredet wird, doch geschwätzig ist dieser Film nie und auch das Cinemascope-Format nutzt Kurosawa brillant. Aus dem Kammerspiel wird im Mittelteil ein Thriller über die fieberhafte Suche nach dem Täter, der David Finchers »Zodiac« um nichts nachsteht, um im Finale auf die minutiöse Kleinarbeit eine Polizeiaktion folgen zu lassen, die ins Drogenmilieu – und somit endgültig vom Himmel über der Stadt in die Hölle der Slums – führt.

143 Minuten ist diese atemberaubende Mischung aus Thriller und Gesellschaftsdrama lang, 44 Jahre alt, aber kein bisschen gealtert, absolut up to date in der kühlen, sachlichen ganz auf das Thema konzentrierten stringenten Inszenierung – ein eher unbekannter Film Kurosawas und dennoch einer, bei dem man sehen und erleben kann, was im Kino möglich ist. Dass außer Kurosawas eigenen Filmen, außer »Die sieben Samurai«, »Yojimbo« und »Akahige« sich kein Film des Innsbrucker Festivals mit »Zwischen Himmel und Hölle« messen konnte, spricht zwar nicht für, aber auch nicht gegen das Programm, denn so exzeptionelle Meisterwerke wie die des Japaners durfte man kaum erwarten.

Viel Sehens- und Diskussionswertes konnte man in Innsbruck dennoch entdecken, gefehlt hat aber der eine oder andere große Film, der ein Festival überstrahlt und den Zuschauer restlos zufrieden zurücklässt. Erfreuen konnte man sich an der Verspieltheit von Esteban Sapirs »La Antena«, am stimmungsvollen Bild der Ceausescu Ära, das Catalin Mitulescu in dem mit dem Publikumspreis ausgezeichneten »Comment j´ai fêté la fin du monde« zeichnet, oder am Bilderrausch von José Araújos »As tentacoes do Irmao Sebastiao«.

Visuell beeindruckend ist auch »Khadak«, in dem Peter Brosens und Jessica Woodworth von einem mongolischen Nomaden erzählen, der erst lernen muss seine Bestimmung zum Schamanen anzunehmen. Ein Widerspruch entsteht dabei durch die Ansiedlung der Geschichte in einer archaischen Landschaft und die elaborierte hochartifizielle Bildsprache, die mit langen Plansequenzen arbeitet, in denen die Figuren wie Objekte arrangiert sind und auch da Vincis »Letztes Abendmahl« zitiert. Keine ethnographische Studie, sondern eine irritierende, nicht zuletzt durch die an Philip Glass erinnernde Musik, stark esoterisch orientierte Fabel über Entwurzelung und Selbstfindung ist so entstanden.

Im Alltag angesiedelt ist dagegen der mit dem Filmpreis des Landes Tirol ausgezeichnete »Juju Factory« des Kongolesen Balufu Bakupa Kayinda. Von bitterer Komik durchzogen ist die Geschichte des afrikanischen Autors Kongo Congo, dem in Brüssel nicht nur Beziehungsprobleme, sondern mehr noch die Vorgaben seines Verlegers und das Trauma des Kolonialismus Sorgen bereiten. Teils an Woody Allen oder auch an französische Dialogkomödien kann man hier denken, doch »Juju Factory« zerbricht förmlich an seiner Überfrachtung. Statt sich auf die Situation des Schriftstellers im Exil zu konzentrieren versucht Bakupa-Kayinda die Folgen des Kolonialismus zu diskutieren. Bilder findet er dafür aber leider keine und so sinniert die Hauptfigur in langen Voice-over über diese Probleme. Einerseits wirkt das penetrant, andererseits gewinnt »Juju Factory« dadurch mehr eine literarische als eine filmische Form.

Auch in den Nebenreihen wie dem »Panorama Mittelmeer« fanden sich durchaus sehenswerte Filme. So verzahnt der Israeli Joseph Pitchhadze in »Shnat Effes« in der Manier von Robert Altmans »Shortcuts« mehrere Geschichten. Harzig ist der Beginn, bis man einen Überblick über die Figuren gewonnen hat, doch dann geht’s ganz nett dahin, aber eben auch etwas unverbindlich mäandernd ganz im Sinne des Filmmottos »Das Leben ist die Summe aller unvorhergesehenen Dinge«.

Formal geschlossen, aber auf der dramaturgischen Ebene nicht frei von Unglaubwürdigkeiten, ist die Flüchtlingsgeschichte »La fine del mare«. Auf große Worte verzichtet Nora Hoppe in ihrem leisen und langsamen Film, vertraut auf die Schauspieler, denen sie in langen, ganz in Blau getauchten Plansequenzen viel Zeit und Raum lässt. So kunstvoll das auf den ersten Blick auch aussieht, so geschmäcklerisch ist das in der Art, wie Nora Hoppe die Inszenierung förmlich zelebriert und ausstellt.

Rundum gelungen ist dagegen Goran Paskaljevics »I Optimisti«, der außerhalb des Wettbewerbs als »Guest´s Special« gezeigt wurde. In fünf voneinander unabhängigen Episoden erzählt der Serbe mit schwarzem Humor kraftvoll und vital von Menschen, die in hoffnungsloser Situation die Hoffnung nicht aufgeben und sich selbst einreden, dass alles gut ist. Hervorragende Typenzeichnung, exzellente Darsteller und die handwerklich souveräne Umsetzung von originellen kleinen Geschichten um einen Hypnotiseur, einen erfolglosen Spieler oder einen nicht zu bremsenden Schlachterjungen machen diesen an Emir Kusturica erinnernden Episodenfilm zu einem ungetrübten Vergnügen.