Gabriele Münter (1877–1962) war weit mehr als die „Frau an der Seite Kandinskys“. Durch Ausstellungen und Publikationen, insbesondere jene der vergangenen zwei Jahrzehnte, findet sie breite Anerkennung als eine der führenden Protagonist:innen der deutschen Avantgarde. Nun würdigt das Leopold Museum als erste Institution in Österreich ihr Werk im Rahmen einer umfassenden Personale. In zehn Themeninseln wird die expressionistische Malerin auf ihren Lebensstationen begleitet, die oft mit jeweiligem Stilwechsel oder lebhaftem Interesse an unerprobten Techniken und Sujets koinzidierten.
Künstlerisch veranlagt war die gebürtige Berlinerin von klein auf, doch erst durch die intensive Beschäftigung mit der Fotografie während einer Reise zu ihren in den USA lebenden Verwandten in den Jahren 1899/1900 begann sie den Blick für den Bildausschnitt und die Komposition zu schärfen. In der Kunstmetropole München und auf ausgedehnten Reisen mit ihrem Lehrer und Weggefährten Wassily Kandinsky malte sie impressionistische Landschaftsstudien, ehe sie 1908 im bayerischen Murnau am Staffelsee – ihrer späteren Wahlheimat – den Mut zur Reduktion des Bildgefüges auf Farbfelder fasste. Unter dem Einsatz kräftiger Konturen, zu denen sie durch die bayerische Hinterglasmalerei und gleichermaßen durch die Wagnisse der Fauvisten angeregt war, entstand eine vom Gegenstand gelöste, ab 1912 zuweilen gänzlich abstrakte Malerei; den Drang zum intuitiven Malen teilte sie mit den Spitzenvertreter:innen des „Blauen Reiters“, deren Werke ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden. Zwischen 1915 und 1920 lebte sie in Skandinavien und malte in gedämpften Tönen Gemälde, in denen die menschliche Gestalt und das Porträthafte an Bedeutung gewannen. In den 1920er-Jahren beruhigte sich der Pinselduktus und ließ schließlich während eines langen Aufenthaltes in Paris Ansätze der Neuen Sachlichkeit erkennen. Die produktive Zeit zwischen 1930 und dem Tod der Malerin war von einer expressiven Synthese vorheriger Erfahrungen geprägt. Auch prosaische Eindrücke aus Münters unmittelbarer Umgebung – etwa die Industrialisierung und die damit verbundenen landschaftliche Veränderungen – fanden dabei Niederschlag in ihrer Malerei.
Rund 120 Exponate aus öffentlichen und privaten internationalen Sammlungen – darunter Ölgemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Fotografien, kunsthandwerkliche Objekte sowie Skizzenbücher – geben einen tiefgründigen Einblick in das facettenreiche Schaffen der Künstlerin.
Gabriele Münter Retrospektive
20. Oktober 2023 bis 18. Februar 2024