Silvia Bächli (*1956) gilt als die bedeutendste Zeichnerin ihrer Generation in der Schweiz. Das belegen nicht zuletzt Ausstellungen in wichtigen Museen wie 2006 im Genfer Mamco, Musée d’art moderne et contemporain, 2007 im Pariser Centre Pompidou, im Museu Serralves in Porto oder im vergangenen Jahr zusammen mit Eric Hattan in der Kunsthalle Nürnberg. Zudem vertrat sie 2009 die Schweiz an der 53. Biennale in Venedig.
Seit den späten 1970er Jahren hat Bächli ihr zeichnerisches Schaffen gleichermassen behutsam wie konsequent entwickelt. Der expressive Zugriff auf Körperlichkeit wich bald einer beinahe introspektiv zu nennenden Sicht auf die Wirklichkeit. Die alltägliche Wahrnehmung bildet den Ausgangspunkt für einen künstlerischen Prozess, in dessen Verlauf sich Silvia Bächli die Dinge gleichsam aneignet, um ihnen zugleich autonome zeichnerische Form zu verleihen. Die kleinformatigen Zeichnungen fügt sie seit 1984 zu mehrteiligen Kompositionen auf der Wand zusammen, sogenannten Ensembles. Seit 1996 entstehen raumgreifende Tischinstallationen, in denen mehrere Blätter archivartig in flachen Vitrinen präsentiert werden, und seit 2001 arbeitet sie an grossformatigen Papierarbeiten mit sich überlagernden, feingliedrigen Lineamenten. In den letzten Jahren kam die Fotografie als wichtiges künstlerisches Medium hinzu.
Im Rückblick ist zu verfolgen, wie konsequent die Künstlerin ihr Werk vorantreibt, es scheint "von einer grossen Kontinuität mit wenigen, oft unterschwelligen, aber nachhaltigen Veränderungen in der Zeichnung geprägt." (Hans Rudolf Reust) "Immer wieder etwas Anderes machen als vorher, ohne das Vorausgehende aufzugeben, alles mitnehmen und langsam weiterführen: dies ist eines der Prinzipien über die Jahre. Ich will vergessen, wie das Blatt mit dem Bein von gestern aussieht - deshalb kann man es nochmals versuchen. Wie sieht es wirklich aus? Wie fühlt es sich an von innen - wie sehe ich es bei anderen?"
Mit ihrem Statement verweist die Künstlerin konkret auf die Ateliersituation und das immer wieder neue Herangehen ans leere Blatt mit dem Versuch eines unvoreingenommenen Weiterführens der zeichnerischen Arbeit. Im übertragenen Sinne ist es aber auch zu verstehen als permanentes Überprüfen des eigenen Schaffens und als kontinuierliches Fortschreiten von einer Werkphase zur nächsten. Gleiches gilt für die von der Künstlerin über die Jahre entwickelten Präsentations- formen: Einzelblatt, Serien, Ensembles, Tischinstallationen, Grossformate.
Jeder Aspekt des gleichermassen konzentrierten wie vielfältigen Schaffens von Silvia Bächli wurde in der Vergangenheit entweder einzeln oder in sinnstiftender Verbindung mit anderen Werksträngen thematisiert. Nie jedoch sind die unterschiedlichen Präsentationsmodi ihres künstlerischen OEuvres als Grundlage für ein Ausstellungsprojekt genommen worden.
"Fra apart – close together": Die umfassende Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen wird erstmals die Breite der über die Jahre erprobten Präsentationsformen aufarbeiten – und zwar weniger im Sinne einer Retrospektive als chronologischer Abfolge von Entwicklungsschritten denn als konzise Auslegeordnung installativer Momente ihres zeichnerischen Schaffens. Dabei offenbart sich das Werk nicht als reine Zeichnungsarbeit, sondern vielmehr als sorgfältige Raumgriffe und eigentliche Schule des Sehens – und nicht zuletzt als Einblick in den einzigartigen zeichnerischen Kosmos von Silvia Bächli.
Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst Nürnberg eine umfangreiche, von Silvia Bächli zusammen mit Anne Hoffmann gestaltete Publikation mit Texten von Konrad Bitterli, Jürg Halter, Eva Kuhn, Roman Kurzmeyer, Maja Naef, Catherine Pavlovic, Hans Rudolf Reust, Kristin Schmidt, Markus Stegmann, Nadia Veronese und Roland Wäspe.
Far apart – close together
11. Februar bis 13. Mai 2012