Familienbande – Die indischen Maler Manaku und Nainsukh

Erstmalig präsentiert die Ausstellung «Familienbande – Die indischen Maler Manaku und Nainsukh» das Schaffen der legendären Künstlerbrüder in einer direkten Gegenüberstellung. Die Künstlerfamilie aus Guler in der Pahari-Region nahe dem Himalaya-Gebiet läutete im späten 18. Jahrhundert eine entscheidende Wende in der indischen Malerei ein.

Die beiden Brüder Manaku und Nainsukh von Guler gehören zu den grossen Meistern der indischen Miniaturmalerei. Obwohl sie beide die Kunst des Malens von ihrem Vater Pandit Seu lernten, ist ihr Werk von höchst unterschiedlichem Charakter. Und es ist nicht nur ihr künstlerisch herausragendes Schaffen, das von besonderer Bedeutung ist: Manaku und Nainsukh gehören zu den wenigen originär indischen Malern, deren Namen und künstlerische Karrieren bekannt sind.

Die Geschichte von Manaku und Nainsukh von Guler beginnt mit ihrem Vater und Lehrer Pandit Seu (ca. 1680–1740). Der Name Seu ist in Pilgerregistern und auf Bildern überliefert. Die Inschriften erwähnen ihn als Vater von Manaku und Nainsukh, nennen seine Heimat Guler, seinen Beruf als Maler und den Namenszusatz Pandit, der auf seine brahmanische Abstammung hinweist. Die Familienüberlieferungen berichten, wie einer von Pandit Seus Vorfahren den Beruf als Priester und damit auch seinen sozialen Status aufgegeben hat, um sich der Malerei zu widmen – sicherlich ein einschneidendes Ereignis in der Familiengeschichte.

Künstlerisch hat sich Pandit Seu vor allem mit einer unvollendeten Bilderserie zum Ramayana einen Namen gemacht. Sie ist um 1720 herum entstanden. Zwar folgt sie weitgehend den Traditionen der Zeit, zeigt aber eine Malerpersönlichkeit, die durchaus gewitzt und experimentierfreudig war. Spätere Bilder zeugen von einzelnen Einflüssen der Mogulkunst. Obwohl bis heute nicht bekannt ist, wie es dazu kam, liegt hier der Grundstein für die Offenheit und Sorgfalt, in der Pandit Seu seine Söhne ausgebildet haben mag. Ausserdem hat Pandit Seu damit einen bedeutenden Wandel in der Malerei der Pahari-Region eingeläutet.

Manaku (Dt. «Rubin», ca. 1700–1760) war der ältere der beiden Brüder. Er wuchs in einer Zeit auf, in der sein Vater Pandit Seu Bilder zu den grossen indischen Mythen malte. Das mag einer der Gründe sein, dass sich auch Manaku zu einem grossartigen, malenden Geschichtenerzähler entwickelte. Überhaupt weisen seine Bilder – ansonsten liegen kaum Informationen über ihn vor – darauf hin, dass er derjenige der Brüder war, der sich der Familientradition stärker verpflichtete. Manakus erste grosse Serie war denn auch der Versuch, die väterliche Ramayana-Serie weiter zu führen – ohne Erfolg, auch sie blieb unvollständig. Aber wie schon sein Vater blieb er seiner Heimat Guler weitgehend treu, ihm kam die Aufgabe zu, die Familienwerkstatt nach dem Tod des Vaters weiterzuführen.

Der jüngere Bruder Nainsukh (Dt. «Wohlgefallen fürs Auge», ca. 1720–1776) hingegen fand am Hof von Jasrota seine künstlerische Bestimmung. Seine ersten grossen Arbeiten entstanden dort unter Mian Zorawar Singh. Später schuf er als enger Vertrauter von dessen Sohn und Nachfolger Balwant Singh ausgesprochen intime Hofszenen. Vielleicht lag dies daran, dass seine Ausbildung in eine ganz andere Schaffensphase von Pandit Seu fiel. Das Verhältnis zwischen Nainsukh und Balwant Singh war so eng, dass der Maler den Raja auf vielen Reisen begleitete und auch dann nicht von seiner Seite wich, als er Jasrota um 1755/60 verlassen musste und nach Guler umsiedelte. Nainsukh arbeitete damit in einem ganz anderen Umfeld als sein Bruder, von dem keine so enge Beziehung zu einem bestimmten Hof bekannt ist.

Zunächst scheint es, als hätten Manaku und Nainsukh in erster Linie unterschiedliche Impulse von ihrem Vater Pandit Seu aufgenommen und seien unabhängig voneinander ihren je eigenen Weg gegangen. Zwei Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten? Weit gefehlt. Ein genauer Blick auf ihre Bilder zeigt nicht nur ihr gemeinsames Erbe desselben Lehrmeisters. Viele Details weisen darauf hin, dass sie auch während ihrer Karrieren einen persönlichen und fachlichen Austausch pflegten. Doch wirklich interessant ist, wie sich die Söhne der beiden Brüder wieder zusammenfanden und gemeinsam an grossen Bilderserien arbeiteten. Manakus Söhne Fattu und Khushala entwickelten zusammen mit ihren Cousins Kama, Gaudhu, Nikka und Ranjha einen einheitlichen, äusserst harmonischen und gänzlich neuen Familienstil. Darin vereinen sich Manakus Erzählweise und klare Farben mit Nainsukhs Leichtigkeit und naturalistischen Settings. In dieser Generation führte die Zusammenarbeit von Cousins und Brüdern die Malerei im Pahari-Gebiet um 1770/80 nochmals zu einem wahren künstlerischen Höhepunkt.

Die Namen und Lebensgeschichten vieler indischer Maler aus den vergangenen Jahrhunderten bleiben den heutigen Bewunderern ihrer Werke weitgehend verborgen. Die Bilder sind in den allerwenigsten Fällen signiert oder datiert. Auch sonst stehen der Forschung nur wenig historische Schriftzeugnisse über die Kunstschaffenden zur Verfügung. Die jüngere Forschung hingegen hat viel bewegt. Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte der Kunsthistoriker A. K. Coomaraswamy die Beschäftigung mit indischer Miniaturmalerei zu einer weltweit anerkannten akademischen Disziplin. Es entstand ein Klassifikationsschema, das die Malereien in eine chronologische und regionale Ordnung brachte, die teilweise bis heute gebräuchlich ist und Coomaraswamys Arbeiten mit dem Status der Klassiger versehen hat. Allerdings wird kein einziger Künstlername erwähnt. Die Kunstwerke erscheinen als eine Art kollektive Kunst oder Produkt einer Gruppe von anonymen Handwerkern.

Mitte des 20. Jahrhunderts markierten die Arbeiten von W. G. Archer und M. S. Randhawa einen weiteren Meilenstein: Zu den primären Klassifikationskriterien gesellten sich nun dynastische hinzu. Die Namen fürstlicher Auftraggeber und Kunstmäzene ergänzten das Bild und erste Stammbäume von Künstlerfamilien wurden erstellt. Im Anschluss daran fokussierte der indische Kunsthistoriker B. N. Goswamy bereits in den 1960er Jahren seine Forschung auf den Maler als individuellen Künstler. B. N. Goswamy untersuchte dessen Stellung in der Gesellschaft und machte die Malerfamilien als eigentliche Stilgeber aus. Dies war der entscheidende Anstoss für zahlreiche neue Untersuchungen und legte den Grundstein für einen wahren Durchbruch in der indischen Kunstgeschichte der Malerei zu Beginn der 1990er Jahre: B. N. Goswamy und Eberhard Fischer – Direktor des Museums Rietberg von 1972 bis 1998 – veröffentlichten eine umfassende Darstellung zu einzeln Künstlern aus dem Pahari-Gebiet am Fusse des Himalaya.

Erstmals wurden für eines der grossen Malereizentren individuelle Maler über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten identifiziert sowie einzelnen Werkstätten, Orten und Fürstenhöfe zugeordnet. Knapp zwanzig Jahre später konnte dieser Ansatz überregional und mit internationaler Zusammenarbeit ausgeweitet werden. Initiiert vom Museum Rietberg wurden diese Erkenntnisse 2011/12 mit einer zweibändigen Publikation und einer umfangreichen Ausstellung in Zürich und New York der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dieser Forschungsgeschichte ist es geschuldet, dass Manaku und Nainsukh heute zu den bekanntesten und am besten erforschten indisch-stämmigen Künstlern der Miniaturmalerei gehören. Sie zählen auch zu den wenigen ihrer Gilde, denen jeweils eigene Monografien und umfassende Werkbeschreibungen gewidmet sind, beide verfasst von B. N. Goswamy. Es ist kein Zufall, dass dieser Weg der Künstler aus ihrer Namenlosigkeit eng mit dem Museum Rietberg verbunden ist: Eberhard Fischer hat in Zürich eine weltweit anerkannte Sammlung indischer Miniaturen mit demSchwerpunkt auf die Malerei des Pahari-Gebietes begründet. Werke von Manaku und Nainsukh und ihrer Familie sind hier bestens vertreten und gewähren spannende Einblicke in ihr Schaffen.


Familienbande – Die indischen Maler Manaku und Nainsukh
4. Oktober 2018 bis 17. Februar 2019