Emil Schulthess – Retrospektive

Emil Schulthess (1913-1996) gehört zu den Klassikern der Schweizer Fotografie der Nachkriegszeit. Seine monumentalen Bildbände über Destinationen wie Afrika, China oder die Sowjetunion waren internationale Bestseller. Ab den 1970er Jahren wurde er als Erfinder der Flugpanoramen bekannt. Die Sonne zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Emil Schulthess – überall auf der Welt versetzte ihn ihr Anblick in ungläubiges Staunen. Sein berühmtestes Werk ist ein 24-Stunden-Panorama der Mitternachtssonne in Farbe, das 1950 in Norwegen entstand und weltweit Aufsehen erregte.

Der gebürtige Zürcher war ursprünglich Grafiker und erwarb fotografische Grundkenntnisse als Hospitant in Hans Finslers Fotoklasse. Ab 1936 arbeitete er beim Zürcher Druck- und Verlagshaus Conzett & Huber, von 1941 bis 1957 als Gestalter und Mitglied der Gründungsredaktion der Monatszeitschrift "Du". Erste Reisen führten Emil Schulthess in den 1950er Jahren nach Afrika und in die USA, später folgten Ziele in Asien und Südamerika sowie die Teilnahme an einer Expedition der US Navy in die Antarktis. Zum 100. Geburtstag des Fotografen widmet ihm nun die Fotostiftung Schweiz eine erste, umfassende Retrospektive.

Wie viele andere Schweizer Fotografen seiner Generation, etwa Gotthard Schuh oder Jakob Tuggener, war Emil Schulthess auf Umwegen zur Fotografie gekommen. Und wie die meisten von ihnen hatte er ein ausgesprochenes Flair für die Technik, in seinem Fall sogar eine Obsession für spezielle Kameras und ausgeklügelte optische Einrichtungen der Marke Eigenbau. Das ermöglichte ihm nicht nur eine Art erweitertes Sehen, sondern auch die bildliche Darstellung von komplexen Sachverhalten und Abläufen, wenn nötig unterstützt oder gar überlagert mit Grafiken oder Diagrammen. Im Unterschied zu fast allen seiner Schweizer Kollegen fotografierte er meist auch in Farbe, was ihm 1967 den "Achievement Award" der renommierten Zeitschrift U.S. Camera eintrug.

Schulthess war getrieben von unbändiger Abenteuerlust und dem Drang, mit seinen Kameras die letzten weissen Flecken auf der Weltkarte zu erforschen. Er sprengte dabei alle konventionellen Bildformate. In seinen Büchern verwendete er nicht nur auf virtuose Art Doppelseiten und Ausklapper, sondern auch extrem breite Aufnahme- oder Buchformate, das kreisförmige Bildformat des Fisheye-Objektivs und schliesslich die Panoramaaufnahme, die vollständige Rundumsicht, die quasi mit einem Click den Blick auf die ganze Welt freigibt. Für Schulthess war Fotografie nicht persönlicher Ausdruck, sondern ein Abbild der realen Welt, wie er sie wahrnahm und wie er sie unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden fotografischen Mittel seinem Publikum vor Augen führen wollte.

Weder stand er dem Kollegium Schweizerischer Photographen nahe, dessen Mitglieder mit einer helvetischen Spielart des "poetischen Realismus" künstlerische Ziele verfolgten, noch engagierte er sich in der modernen Reportagefotografie, wie sie sich ab 1951 in der Illustrierten "Die Woche" entwickelte. Schulthess agierte als Einzelgänger und Einzelkämpfer, der sich kaum in die Schweizer Fotoszene einmischte, als ein "selbsterzogener Wissenschaftler", wie ihn L. Fritz Gruber 1964 bei der Verleihung des Kulturpreises der Deutschen Gesellschaft für Photographie nannte, als ein Fotograf, der mit seinen Bildbänden nicht nur unzählige Menschen belehrte, sondern ihnen seine eigene Faszination für die Wunder dieser Welt weitergab.

Nach dem Tod von Emil Schulthess 1996 wurde sein gesamtes Archiv vorerst von seinen Erben weiterbetreut. Um den kultur- und fotohistorisch bedeutenden Nachlass langfristig erhalten und wissenschaftlich aufarbeiten zu können, übergaben sie ihn jedoch 2010 der Fotostiftung Schweiz. Die Ausstellung "Emil Schulthess – Retrospektive" sowie der Begleitband mit einer ausführlichen neuen Biografie basieren auf einer Neubewertung dieses Nachlasses. Die Aufarbeitung förderte nicht nur bisher unbekanntes Material zutage, sondern auch Lücken, insbesondere im Bereich der Farbbilder. Je nach Filmfabrikat, das Schulthess verwendete, sind die originalen Farbdias mehr oder weniger ausgebleicht und können nicht mehr mit konventionellen analogen Verfahren vergrössert werden. Sie mussten deshalb für die Ausstellung digitalisiert und bearbeitet werden, um die faszinierende Farbigkeit der Welt, an der Schulthess sein Publikum teilhaben lassen wollte, erneut zugänglich zu machen.

Die Ausstellung "Emil Schulthess – Retrospektive", kuratiert von Martin Gasser und Alexis Schwarzenbach, zeigt einerseits Vintage Schwarzweiss-Barytabzüge aus dem Emil Schulthess- Archiv und andererseits neu hergestellte digitale Lambda-Prints ab originalen Farbdias. Sie wird ergänzt mit Beispielen der Publikationen von Emil Schulthess sowie Dokumenten aus dem Archiv.

Begleitpublikation: Alexis Schwarzenbach, Emil Schulthess – Fotografien 1950–1990, mit einem Vorwort von Martin Gasser, herausgegeben von der Fotostiftung Schweiz im Limmat Verlag Zürich, 296 Seiten, ca. 200 Abbildungen in Duplex und Farbe.

Emil Schulthess – Retrospektive
7. September 2013 bis 23. Februar 2014