Das ist Oper vom Feinsten, was sich die Marionettenoper Lindau und das Vorarlberger Barockorchester Concerto Stella Matutina zu ihren Jubiläen – die einen zwanzig Jahre, die anderen fünfzehn – vorgenommen haben: musikalisch in schlanker historischer Instrumentalbesetzung, vielschichtig die Inszenierung mit Überlagerung wie Verschmelzung des Gesangs der hochkarätigen, in ihrer Präsenz so ausdrucksstarken Sängerinnen und Sänger mit der großen Kunst des Puppenspiels.
Bezaubernd und vielversprechend der Bühnenkasten in der Mitte mit osmanischen Ornamenten und Details, zu beiden Seiten die Pulte der Sängerinnen und Sänger, wohl gruppiert nach theatralischer Zusammengehörigkeit. Faszinierend was sich in den nächsten zwei Stunden abspielt. Schon die Ouvertüre – ein Ohrwurm, bei dem man sich das Mitsingen versagen muss – gibt ein außergewöhnliches, frisches Hörerlebnis: dem Originalklang verpflichtet das Orchester, präzise und mit Schalk dirigiert von Thomas Platzgummer. Reizvoll ist die Durchlässigkeit der Tribüne, wo man als dunkle Schatten das Agieren der Puppenspielerinnen mitkriegt.
Für "Die Enführung aus dem Serail" hob sich vor zwanzig Jahren der Vorhang der Lindauer Marionettenoper zum ersten Mal, fünfhundert Marionetten später also die großartige Aufführung mit Live-Musik zum Jubiläum. Bernhard Leismüller fertigt die magischen Puppen noch immer von Hand, zu diesem Stück sogar als Double, um durch die Perspektive noch mehr Spannung in die Handlung zu bringen. Eine Marionette kann Mimik ja nur über Gestik vermitteln, es sind Millimeterbewegungen die ihr von Zauberhand Gefühle und Leben einhauchen. Durch die Rollenteilung entsteht etwas Wunderbares: die Puppen bleiben vollständig im Spiel und fokussieren auf Gesang und Handlung, die Sängerinnen und Sänger auf die Musik.
Doch auch in persona findet das feinmotorische Spiel statt, nämlich hier deutlich in Mimik und selbstverständlich in stimmlichem Ausdruck sowie der Gruppierung. Da steht Belmonte (mit schmelziger Tenorstimme des Liebhabers Daniel Johannsen) neben seiner Konstanze (die wunderbare Sopranistin Gloria Rehm), die er aus den Fängen des Bassa Selim (Hubert Dragaschnig in der Sprechrolle) retten wird, auf der einen Seite. Auf der anderen das Buffopaar Pedrillo (so passend Michael Feyfar, Tenor) und Blonde (Caroline Jestaedt mit gewinnendem Charme und mini-französischem Akzent), in der Mitte Gegenspieler Osmin (mit satter Bassstimme Martin Summer, siehe auch Besprechung des Salzburger Rosenkavaliers).
Es findet eine Überlagerung statt, die beide Darbietungen fantastisch verschmelzen lässt. Damit nicht genug, für besondere Momente finden sich Konstanze bei ihrer Arie voller Sehnsucht, Belmonte im Liebesgesang, Pedrillo mit Grübeleien, die selbstbewusst-emanzipierte Blonde mit ihren Alter Egos auf der Marionettenbühne wieder, genauso Hubert Dragaschnig, der als Bassa Selim das Urteil verkündet: Rache will er nicht, sondern Gnade! Er gibt den zwei Liebespaaren die Freiheit, das Schiff wartet. Fulminant und durchaus als Pointe eingesetzt, der Zornesausbruch darüber von Osmin, wenn Martin Summer auf die Bühne stürmt und Pedrillo am Kragen packt.
Besser geht nicht. Begeisterter Applaus. Berührt, verzaubert, erfüllt geht das Publikum von dannen.
W. A. Mozart Die Entführung aus dem Serail
Konstanze: Gloria Rehm, Sopran
Blonde: Caronline Jestaedt, Sopran
Belmonte: Daniel Johannsen, Tenor
Pedrillo: Michael Feyfar, Tenor
Osmin: Martin Summer, Bass
Bassa Selim: Hubert Dragaschnig, SprecherMarionettenoper Lindau
Regie: Bernhard Leismüller
Concerto Stella Matutina
Musikalische Leitung: Thomas Platzgummer