Die Schrecken des Kriegs - Goya und die Gegenwart

Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 dokumentiert der Fotograf Mykhaylo Palinchak die Zerstörung seines Heimatlandes und die Auswirkungen auf die Bevölkerung. Die Bilder der Ruinen von Wohnblöcken, der Toten und Überlebenden, der Menschen auf der Flucht und jenen, die vor Ort geblieben sind, überliefern eindrücklich die unmittelbaren Folgen des Krieges.

Die Albertina stellt rund 40 aktuellen Kriegsfotografien Palinchaks, der sich in seinen Arbeiten wiederholt mit einschneidenden politischen Entwicklungen in der Ukraine auseinandergesetzt hat, Goyas "Los Desastres de la Guerra" gegenüber. Goyas Darstellungen des Krieges vom Beginn des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung der Albertina belegen ebenso wie die Fotografien Mykhaylo Palinchaks die universelle Brutalität des Kriegsgeschehens sowie das Leid der Zivilbevölkerung.

Mykhaylo Palinchak wird 1985 in Uschhorod in eine Künstlerfamilie geboren – auch sein Vater ist Fotograf. 2008 entstehen seine ersten professionellen Arbeiten, die bereits im November desselben Jahres gemeinsam mit seinem Vater erstmals ausstellt.

Palinchak arbeitet in unterschiedlichen Regionen der Ukraine, erzählt in seinen Fotografien die Geschichte seines Landes und wirft einen scharfen, oftmals kritischen Blick auf die Menschen, die dort leben. Seine Serien dokumentieren Landschaften der ehemals beliebten Erholungs- und Kurorte an der Küste des Asowschen Meeres, das Dorf Schyrokyne in der Region Donezk, Tschernobyl, Solotwyno sowie das Zentrum von Kiew. Das Gesamtbild, das er zeichnet, gewährt dem Betrachter einen erschütternden Einblick in das Leben der ukrainischen Bevölkerung.

Francisco de Goya (Fuendetodos 1746–1828 Bordeaux) ist der bedeutendste spanische Künstler am Beginn der Moderne. Ausgehend von spätbarocker lokaler Malerei und der Kunst Tiepolos vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel im Stil seiner Bilder, die in schonungslosem Realismus gesellschaftliche Missstände anprangern, Unheimliches und Bedrohliches in fantastischen Visionen zum Ausdruck bringen und mit teilweise provokanten Themen derart Anstoß erregen, dass sich Goya vor der Inquisition rechtfertigen muss.

Die radikalen Neuerungen seiner Kunst finden ihren Niederschlag besonders in einer Reihe druckgrafischer Serien, darunter die hier ausgestellten Desastres de la Guerra, die erst 1863 in Madrid als 80 Radierungen herausgegeben werden. In ihnen nimmt Goya den Spanienfeldzug Napoleons (1808–1814) zum Anlass, die Grausamkeiten des blutigen Krieges zu kritisieren. Auf Bilder des Mordens, Folterns und der Schändung von Frauen folgen Szenen, welche die trostlosen Umstände der Hungersnot 1811/1812 zeigen, die Tausenden das Leben kostete. Allegorische Darstellungen setzen sich sodann kritisch mit der Zeit nach dem Krieg unter dem reaktionären Regime König Ferdinands VII. auseinander.

Goya dokumentiert keineswegs Ereignisse, vielmehr steigert er mit bildkünstlerischen Mitteln ihre Dramatik und lässt ihnen eine tiefere Bedeutung zukommen. Schmerzverzerrte Gesichter, die sich tief ins Gedächtnis einprägen, stehen für das entsetzliche Leid grausam Getöteter, und das unmenschliche Vorgehen der Franzosen versinnbildlicht eine von niedrigsten Instinkten getriebene Soldateska, für die das Morden reine Pflichterfüllung ist und die beim Anblick eines Gehenkten sogar Vergnügen empfindet. Übereinander gehäufte Leichen stehen für die anonyme Masse Getöteter, denen der Krieg ihre Namen und ihre Würde geraubt hat.

Goya rückt wenige Figuren ins Zentrum, verdichtet die Handlung durch nachdrückliche und ausgreifende Bewegungen und macht die Kernaussage in zugespitzter Form sofort verständlich. Das spannungsvolle Helldunkel steigert ebenso die Dramatik wie die trostlosen Hintergründe: abgestorbene Bäume, finstere Mauern, welche die Rohheit der Gräueltaten unterstreichen, oder dunkle Wolkenschwaden, in denen der Geruch der Leichen aufsteigt.

Goya prangert auch die eigenen Landsleute an, etwa die nicht minder abscheulichen Verbrechen der Spanier, die Kaltherzigkeit Begüterter gegenüber Sterbenden, die Frauen, die zu mordenden Furien werden, und die verlogene Frömmelei des Klerus. Goyas Kritik richtet sich somit allgemein gegen die Sinnlosigkeit des Krieges und seine Folgen. Nie hat ein Künstler dies eindringlicher zum Ausdruck gebracht.


Der Tyrann erklärt den Krieg nicht, den er entfesselt. Er verbietet das Wort und will es nicht hören, so braucht er vom Kriegsrecht nichts zu wissen. Unaussprechlich sollen die Schrecken sein, die er über Wehrlose bringt. Zugeständnisse schüren bloß seine Blutgier. Von den Städten, die er vorgeblich befreit, bleibt nichts. Selbst Familien des eigenen Volkes, die sich dem Feldzug entgegenstellen, werden ausgerottet. Kinder und Alte werden niedergemacht. Säuglinge erblicken das Licht der Welt in Form einer Brandbombe.

Der Tyrann leugnet den Massenmord und verleiht jener Brigade, die ihn verübte, Orden. Die Auslöschung einer Nation samt ihrer Geschichte ist das Mittel zum Ziel, Weltmacht zu sein. Feind ist nicht nur die gegnerische Armee. Ins Visier gerät nicht allein, wer Ausrüstung liefert – ob Helme oder Panzer. Das Regime droht uns allen mit atomarer Vernichtung. Das ist die Tyrannei. Es genügt, ihr nichts mehr abzukaufen, um ihre Wut zu reizen.

Auch wenn wir weit vom Schuss sind, geht es um unser aller Freiheit. Ein Europa in Frieden jenseits seiner Willkür kann es für den Tyrannen nicht geben. Darum unterstützt er alle, die – ob in Brüssel, Berlin, Paris oder Wien – die Demokratie untergraben. Er erwartet Unterwerfung. Aber zu seiner Bestürzung eint er eben dadurch einen ganzen Kontinent, der nicht unter seiner Herrschaft leben will und Widerstand leistet.

Seine Macht gründet auf Angst und Terror. Sein Hass gilt seit jeher jener Kunst, die widergespiegelt, was den Opfern widerfährt. Der Tyrann weiß um ihre Kraft und fürchtet ihre Courage.

Da sind die Bilder von den Kämpfenden, von den Fliehenden, von den Ermordeten, von Verstümmelten, von Vergewaltigten, von Gefolterten. Sie schauen uns an. Wer Augen hat, der sehe.

Doron Rabinovici


Die Schrecken des Kriegs
Goya und die Gegenwart
Bis 21. August 2022
Galerie der Basteihalle Albertina