Die Natur des Menschen

Fünf Jahre nach der Ausstellung "orten", in der die Sammlung nach Themen und Motiven "verortet" wurde, widmet das Kunstmuseums Solothurn den Beständen eine neue Sonderausstellung. Unter dem Titel "Die Natur des Menschen" wird das Wechselverhältnis zwischen Weltanschauung und Lebensgefühl thematisiert. Wie Künstlerinnen und Künstler ihre Welt sehen und darstellen, hat nicht nur mit der jeweiligen Epoche, sondern auch mit ihrem individuellen Wesen zu tun.

So kann es über die Epochen hinweg zu Wahlverwandtschaften kommen, die prinzipielle Haltungen – Weltflucht oder Abenteuerlust, Melancholie oder Sinnenfreude – verdeutlichen. Sichtbar wird nicht nur das unterschiedliche Temperament, sondern auch die Vorliebe für Abbild oder Ausdruck, Innen- oder Aussenschau. Die stilistische Ausrichtung – realistisch, expressiv oder surreal – hängt weniger von einer Zeitmode als von Zeitgeist und Lebensgefühl ab, die das "In-der-Welt-Sein" des Menschen prägen.

"Die Natur des Menschen" bezieht sich sowohl auf die Natur, wie der Mensch sie sich zum Bild macht, als auch auf die menschliche Natur, die sich in diesem spiegelt. Aufgrund der engen Beziehung zwischen Weltanschauung und Menschenbild werden für die Ausstellung vor allem die Gattungen Landschaft und Bildnis sowie deren Motiv-Verbindungen ausgewählt. Im Zentrum steht die kunsthistorische Sammlung, deren Grösse eine Vielzahl von Entdeckungen ermöglicht. Mit punktuellen Leihgaben aus Schweizer Museen soll die Sammlung für die Ausstellungsdauer im Sinne eines "musée imaginaire" bereichert werden.

Die Ausstellung erstreckt sich über alle sieben Säle des Obergeschosses und ist nicht chronologisch, sondern in thematischen Feldern angelegt. Der Rundgang beginnt im Altmeister-Saal, wo die beiden berühmten Mariendarstellungen vom Meister des Paradiesgärtleins und von Hans Holbein d.J. eine generelle Betrachtung über den Anfang allen Lebens motivieren: Geburt und Kindheit werden mit Bildern vom Aufblühen der Natur verschränkt.

Der Gang in die Natur und ihre abenteuerliche Erforschung setzen im 18. Jahrhundert ein und findet ihren ersten Höhepunkt in der Romantik. Das Bild "Das Innere der Bärenhöhle bei Welschenrohr" (1778) des Früh-Romantikers Caspar Wolf wird zum Ausgangspunkt für eine Ausbreitung von Werken, die den Menschen als Forscher und Wanderer zeigen. Spiegeln seine Gänge in die Natur und seine Entdeckungsfreude eine "vita activa", wird mit den Gartenbildern von Cuno Amiet eine "vita contemplativa", das "irdischen Paradies" suggeriert.

Danach kommt es zu einem Umschwung der Haltungen und Gefühle: Die Helle des Tages weicht der Nacht, die sonnige Ruhe gewitterhaften Stimmungen, die mit atmosphärischen Bildern von François Diday, Otto Frölicher oder Adolf Stäbli gezeigt werden. Die menschlichen Gefühle von Melancholie, Angst und Leid werden in expressiven Landschaften von Hans Berger und Max Gubler sichtbar, zuweilen spiegeln sich die inneren "Stürme" auch in den Zügen der dargestellten Menschen.

Der grösste Oberlichtsaal vereint Landschaften, in denen die Künstler nach dem Erhabenen und Geistigen in der Natur suchen. Dabei reicht der Bogen von romantisch überhöhten Landschaften bei Alexandre Calame über naturalistisch erfasste, riesige Bergdarstellungen bei Albert Lugardon (Die Jungfrau, vor 1896) bis zu den späten Genfersee-Landschaften von Ferdinand Hodler und den surreal anmutenden Traumlandschaften von Albert Trachsel.

Aus den himmlischen Träumen werden in den beiden letzten Sälen zusehends wieder Alpträume. Eine beängstigende, vom Krieg gezeichnete "terra incognita" zeigt sich bei Otto Morach, Meret Oppenheim, Otto Tschumi, Walter Kurt Wiemken und Max von Moos. Sterben und Tod sind zum einen mit der von Hans Bock gemalten Kopie (1580/90) des berühmten Gemäldes Leichnam Christi im Grabe von Hans Holbein, zum andern mit Werken von Karl Stauffer-Bern, Ferdinand Hodler, Paul Cézanne, Georges Rouault und Alberto Giacometti thematisiert: die Natur des Menschen in ihrer existentiellen Dimension. Christoph Vögele

Die Natur des Menschen
Weltanschauung und Lebensgefühl
25. September 2010 bis 30. Januar 2011