Die "Graue Passion" in ihrer Zeit

Die Staatsgalerie Stuttgart präsentiert in der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg ab dem 27. November 2010 die erste Ausstellung nach 45 Jahren, die sich mit dem Werk des Malers Hans Holbein d.Ä. beschäftigt. Im Mittelpunkt der Schau steht seine zwölf Tafeln umfassende "Graue Passion" (entstanden zwischen 1494 und 1500). Das Hauptwerk des Künstlers wird im Kontext themengleicher Tafelbilder und Graphikreihen bedeutender Vorläufer und Zeitgenossen wie Jan van Eyck, Hans Memling, Martin Schongauer, Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien, Matthias Grünewald u.a.m. gezeigt.

Als aufschlussreicher Teil der Ausstellung wird auch das bisher umfangreichste Restaurierungsprojekt der Staatsgalerie Stuttgart präsentiert: Mit Mitteln von rund 400.000 Euro, u.a. aus dem Sonderzuschuss des Landes Baden-Württemberg, werden die zwölf Tafeln seit 2008 eingehend untersucht und restauriert. Ein vom Steinbeis Transfer Zentrum an der Hochschule der Medien (Stuttgart) erstellter Film erfasst die Restaurierung in einer Langzeitdokumentation und erlaubt einen exklusiven Einblick in die Restaurierungswerkstatt der Staatsgalerie: Die Kamera begleitet das Team der RestauratorInnen bei den verschiedenen Arbeitsschritten von der mikroskopischen Untersuchung der Malschichten bis hin zur sorgfältigen Bestandsaufnahme der Schäden. Modernste Technik (wie beispielsweise die hochauflösende digitale Infrarot-Kamera "OSIRIS") und umfangreiche Untersuchungen zu Material und Maltechnik ermöglichen erstmalig grundlegende technologische Forschungserkenntnisse zu dem Werk des Künstlers Hans Holbein d.Ä.

Die Besucher erwartet in der Ausstellung eine Begegnung mit einer der künstlerisch hervorragendsten Passionsfolgen der altdeutschen Kunst. Ursprünglich bildeten die zwölf Tafeln mit Darstellungen der Leidensgeschichte Christi die Außen- und Innenseiten zweier doppelseitig bemalter Flügel eines Passionsaltars. Im geöffneten Zustand flankierten die Passionsszenen einen heute verlorenen Schrein, in dem vermutlich eine geschnitzte Gruppe mit der Kreuzigung Christi zu sehen war. Der ursprüngliche Aufstellungsort des Altars ist bis heute ungeklärt.

In besonderem Maße wird die emotionale Dichte und kompositorische Geschlossenheit deutlich, in der Hans Holbein d.Ä. die Leidensgeschichte Christi interpretierte. Mit seinen formal beruhigten Kompositionen und seinem idealisierten Christustypus weist der Künstler bereits auf ein Darstellungsideal der Renaissance voraus. Allein im Vertrauen auf seine eigenen künstlerischen Möglichkeiten löste sich Holbein von den tradierten Bildformen und mied die zuweilen drastischen Schilderungen des Passions-geschehens seiner Vorgänger.

Besonderes Augenmerk gilt der schon im Namen anklingenden farblichen Gestaltung der Tafeln als Halbgrisaille, die singulär innerhalb der gesamten europäischen Altarmalerei ist. Holbein entwickelte aus der Grau-in-Grau-Malerei eines Jan van Eyck und Rogier van der Weyden ein subtiles monochromes Kolorit, das in Verbindung mit der Inkarnatsfarbe und wenigen, intensiv leuchtenden Farbpartikeln bei Blut, Dornenkrone, Ringen und Fa-ckeln einzigartig ist. Die eindringliche Dramatik des dargestellten Passionsgeschehens teilt sich schon allein durch die Farbwirkung in ihrer differenzierten Abstufung und den unterschiedlichsten Valeurs von Grau, Ocker und Grün mit.

Die Ausstellung umfasst ca. 45 Tafelbilder (teilweise beidseitig bemalt) und mehrteilige Altäre, 94 Arbeiten auf Papier sowie einige Skulpturen und Glasbilder. Die Leihgaben zur Ausstellung kommen aus bedeutenden Sammlungen der Welt wie dem Kunstmuseum Basel, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, dem British Museum London, dem Museo Thyssen-Bornemisza Madrid, dem Montreal Museum of Fine Arts, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, dem Metropolitan Museum of Art New York, dem Musée du Louvre Paris, dem Kunsthistorischen Museum Wien und einigen anderen mehr.

Die Bedeutung der Ausstellung "Hans Holbein d.Ä.: Die Graue Passion in ihrer Zeit" unterstreicht eine sensationelle Leihgabe der Albertina in Wien: Die Staatsgalerie Stuttgart erhält für die Dauer der Ausstellung acht kostbare Zeichnungen der Grünen Passion von Albrecht Dürer, die nur alle 25 Jahre ausgeliehen wird. Aus konservatorischen Gründen dürfen nur jeweils vier gleichzeitig gezeigt werden; nach der Hälfte der Ausstellung müssen die Blätter ausgetauscht werden.

Die "Graue Passion" in ihrer Zeit
27. November 2010 bis 20. März 2011