Der Baum in der Kunst

Baum der Erkenntnis, Baum des Wissens, Achse der Welt: Entlang dieser Erzählstränge widmet sich die Ausstellung im Unteren Belvedere in Wien als Sujet in der Kunst und seiner Beziehung zum Menschen. Bäume begleiten unser Leben – als Sauerstoffquellen, Schattenspender, Ruhepole. Kulturell war der Baum zu allen Zeiten symbolbehaftet – Mysterium, Wissensträger, Zeichen der Stärke und der Kraft oder Vorbote ökologischer Fehlentwicklungen.

Über die Jahrhunderte hinweg war der Baum für den Menschen eine Projektionsfläche für sein Verhältnis zur Natur und für Fragen zur eigenen Identität. Die Ausstellung schlägt eine thematische Brücke vom Baum der Erkenntnis zwischen Gut und Böse über den Baum des Wissens bis zum Baum als metaphorischer Achse der Welt. Vom Spirituellen über das Rational-Erfahrbare bis zum ökologischen Statement erstreckt sich ein thematischer "Zweig", der die Bedeutung des Baums in der Kunst erläutert. Ob als düsteres Mahnmal der strafenden Ewigkeit wie in Giovanni Segantinis "Die bösen Mütter" oder als friedlicher Beobachter einer intimen Geschichte wie in "Blühende Kastanien" von Emilie Mediz-Pelikan – der Baum steht in der Kunst jeweils für die auf ihn projizierten Eigenschaften. Nilbar Güreş’ "Headstanding Totem" aus dem Jahr 2014 ist die zeitgenössische Version einer mythologischen Figur, die in enger Verbindung mit dem Baum auch als Appell an unsere Sensibilität der Umwelt gegenüber gelesen werden kann.

Die Präsentation lädt zu einer Auseinandersetzung mit spirituellen Vorstellungen, inspirierenden Formfindungen und philosophischen Konzepten ein. Vor allem stellt sie in einer Zeit von Waldbränden und -rodungen drängende Fragen zu Gefahren inmitten der Klimakrise und setzt dabei in der Realisierung bewusst auf nachhaltige Materialien und Strategien. Über eine kunsthistorische und -theoretische Aufarbeitung eines wichtigen Motivs hinaus will die Schau so auch zur Debatte über das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt sowie über die Bedingungen unseres Weiterlebens beitragen.

Die gezeigten 102 Werke, darunter Gemälde, Skulpturen und Installationen, spannen einen Bogen vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zwei Installationen und eine Wandmalerei im Eingangsbereich wurden speziell für diese Ausstellung gefertigt. Der Aufbau der Ausstellung orientiert sich an den Themenkomplexen Baum der Erkenntnis, Baum des Wissens und Achse der Welt. Er zeigt auf, wie sich Motive der Baumikonografie quer durch die Geschichte auffinden lassen. In diesen drei Abschnitten zeigt "Grow" unterschiedliche Perspektiven auf den Baum: als Symbol und Vermittler zwischen Übernatürlichem und Menschlichem, als Objekt der Wissenschaft und Quelle der Inspiration und als warnendes Signal ökologischer Entwicklungen. In den jeweiligen Bereichen werden Begriffe wie "Verwandlung" im Sinne des Übernatürlichen, "Spiegeln" – der Baum als Projektionsfläche – oder "Instrumentalisierung", etwa in der NS-Zeit behandelt. Auch die barocke Architektur der Ausstellungsräume wird in die Erzählung integriert – ein Gipsmedaillon von Santino Bussi im Marmorsaal des Unteren Belvedere etwa oder die Rolle von Bäumen im mythologischen Bildprogramm des Barock.

Ein eigens kuratierter Soundtrack taucht die einzelnen Räume in eine spezifische Klangatmosphäre: Nora Skuta interpretiert eine Sonate von John Cage; Kompositionen von Erik Truffaz, Arve Henriksen, David Kollar und anderen begleiten Besucher:innen durch die Ausstellung. Padhi Friebergers Schwarz-Weiß-Fotografien markieren die Soundstationen.

Grow
Der Baum in der Kunst
Bis 8. Jänner 2023