Angelika Loderer präsentiert im Belvedere 21 eine Installation, für die der Boden mit seinen ökologischen, ökonomischen, politischen wie kulturellen Narrativen die Gemeinsamkeit bildet.
Die 1984 im steirischen Feldbach geborene Künstlerin zählt zu den international am stärksten rezipierten österreichischen Bildhauer:innen der Gegenwart. Durch die unkonventionelle Abwandlung klassisch bildhauerischer Techniken hat sie ein eigenständiges Formen- und Materialvokabular entwickelt, das sie nutzt, um den Boden und dessen vielfältige Funktionen zwischen Lebensraum und Zeitspeicher zu ergründen. Das Interesse am Untergrund und an den dort lauernden Geschichten, an der Spannung zwischen Sichtbarem und Verborgenem, zwischen Flüchtigkeit und Permanenz zieht sich als roter Faden durch Loderers Werk. In einer kritischen Befragung des Skulpturenbegriffs, speziell der Formfindung und Autor:innenschaft, wählt Loderer mitunter den kreativen Dialog mit nichtmenschlichen Lebewesen, deren Habitat das Erdreich ist: Sie eignet sich von Tieren geschaffene Höhlen und Gänge als Gussformen an oder nutzt die Wachstumsprozesse von Pilzmyzel als gestaltendes und materialveränderndes Element. Den künstlerischen Prozess öffnet sie dadurch nicht nur für den Zufall, sondern auch für die Idee eines posthumanistischen Miteinander der Kreaturen. Die Ergebnisse sind Hybride aus Tier- und Menschgemachtem, Funktionalem und Künstlerischem, Fakt und Fiktion.
In der Ausstellung inszeniert Angelika Loderer einen Formen- und Materialteppich, der auf den ersten Blick vor allem aufgrund der Gleichbehandlung aller Exponate irritiert. Egal ob aus Metall oder Wachs, aus Gips oder Lehm, egal ob Monitor oder Guss, Artefakt oder Fundstück: Die Objekte liegen oder stehen auf dem Boden des Ausstellungsraums. Alle Ausstellungsstücke haben einen starken Bodenbezug: Entweder handelt es sich um Formen, die der subterranen Unsichtbarkeit entrissen wurden, oder um Objekte, die im oder auf dem Boden gefunden wurden.
Manches ist winzig klein, wie mit Gips ausgegossene Grillenlöcher oder die Lehmkokons von Wespen, die die Präzision ihrer Architektur erst bei Betrachtung aus nächster Nähe preisgeben. Anderes verführt durch den Schimmer der bronzenen Oberfläche, bevor es sich als Guss einer im Straßenverkehr getöteten Schlange entpuppt. Der Mensch ist in "Soil Fictions" ein Handelnder unter vielen und nur durch Spuren präsent: motivisch in Form des konservierten Abdrucks einer Berührung, indirekt als Hersteller von Artefakten oder als Verursacher von Prozessen. Stattdessen betreten andere Akteur:innen mit eigenen Form- und Materialkriterien die Bühne: die Mörtelwespe mit ihren Miniaturarchitekturen, der Specht mit seiner in Wachs ausgegossenen Höhle, der Maulwurf mit seinen komplex verlaufenden unterirdischen Gängen, die als Metall- und Gipsgüsse sichtbar werden. Jedes einzelne Exponat verwehrt sich mittels Form, Dimension, Material oder Fragmentierung gegen ein rasches Erkennen und Kategorisieren. Durch den Verzicht auf Sockel wird zudem jegliche Hierarchisierung unterbunden. Mit dieser inszenierten Gleichwertigkeit der Exponate als Bild eines Miteinanders der Lebewesen zeigt sich Loderers künstlerische Praxis als aktueller wie virulenter Beitrag im zeitgenössischen Diskurs um das Anthropozän, seine Folgen und Alternativen.
Angelika Loderer
Soil Fictions
6. März bis 15. September 2024