Alles sehen - Der Zeichner Johannes Robert Schürch

Johannes Robert Schürch (1895-1941) gilt als einer der Hauptvertreter der frühen Moderne in der Schweizer Kunst. Angetrieben von existenziellen und universellen Themen des Menschseins schuf er Hunderte von lavierten Tuschzeichnungen und expressiven Aquarellen, die heute zu den Höhepunkten seines Oeuvres zählen. Die Ausstellung "Alles sehen" rückt einen herausragenden, aber in Vergessenheit geratenen Zeichner wieder ins Bewusstsein der Gegenwart.

Der in Aarau geborene Künstler Johannes Robert Schürch schuf Meisterwerke der frühen Moderne. Umso erstaunlicher ist es, dass sein Werk heute kaum einem breiteren Publikum bekannt ist. Gut 50 Jahre nach der Retrospektive im Aargauer Kunsthaus, wo Werke des Künstlers früh erworben wurden und heute zu den Schwerpunkten der Grafischen Sammlung gehören, rückt die Ausstellung "Alles sehen" das berührende und eindringliche Werk eines herausragenden Zeichners erneut in den Mittelpunkt. Viele der rund 130 gezeigten Arbeiten auf Papier waren jahrzehntelang in Sammlungen verborgen und werden nun zusammen mit bisher unveröffentlichten Skizzenbüchern erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zu Wort kommt auch Erica Ebinger-Leutwyler, Schürchs Lebensgefährtin bis zu seinem Tod, die das vom Fiskus als wertlos eingestufte Werk vor der Vernichtung bewahrte.

Der weitgehend autodidaktische Künstler, der früh von Ferdinand Hodler gefördert wurde, hinterließ bei seinem Tod im Alter von nur 46 Jahren ein umfangreiches und stilistisch vielfältiges Œuvre von über 7000 Werken. Es umfasst neben Ölgemälden, Pastellen und Gouachen eine kaum überschaubare Anzahl kleinformatiger lavierter Feder- und Tuschpinselzeichnungen sowie Aquarelle. Die Ausstellung im Aargauer Kunsthaus widmet sich dem zeichnerischen Werk der 1920er und frühen 1930er Jahre und gibt damit Einblick in Schürchs produktivste Schaffensperiode. Die farblich zurückhaltenden Tuschzeichnungen und die expressiven Aquarelle gehören zu den Höhepunkten seines Schaffens. Schürch schuf sie geradezu obsessiv zwischen 1922 und 1932, als er mit seiner Mutter fernab der Gesellschaft in einem abgelegenen Waldhaus im Tessin in Armut lebte. Hier löste er sich vom Vokabular seiner Vorbilder wie Ferdinand Hodler, Pablo Picasso oder Paul Cézanne und schuf Blätter, in denen er Gesehenes und Erlebtes mit seinen inneren Bildern, Ängsten und Visionen verband. So schrieb er 1924 an seinen Freund Walter Kern: "Meine jetzigen Zeichnungen sind sehr gut und übertreffen vielleicht alles, was ich schon gemacht habe, sie sind auf jeden Fall Eigengewächs. es sind Blumen des Satans, aber ich ringe auf Tod und Leben um was? (um mich)."

Schonungslos und einfühlsam thematisiert Schürch in seinen Werken existenzielle und universelle Themen des Menschseins: Tod und Trauer, Unterdrückung sowie die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe. Als Schauplätze wählt er urbane Randgebiete, phantastische (Traum-)Landschaften oder zeittypische Szenerien wie Wirtshäuser, Bordelle oder die Welt des Zirkus. Die spontan und zum Teil sehr skizzenhaft ausgeführten Blätter zeigen Schürchs eigenständigen künstlerischen Beitrag auf dem Gebiet der Zeichnung in der Schweizer Moderne. Seinen Zeitgenossen blieben sie weitgehend unbekannt, da seine expressive Ausdrucksweise nicht dem damaligen Zeitgeschmack entsprach.

Johannes Robert Schürch
Alles sehen
14. September 2024 bis 12. Jänner 2025