69. Berlinale: Goldener Bär für "Synonymes" von Nadav Lapid

Nadav Lapids autobiographisch inspirierte Geschichte eines Israeli in Paris wurde nicht nur mit dem Hauptpreis des größten deutschen Filmfestivals ausgezeichnet, sondern auch mit dem Preis der Filmkritiker. "Nur" Darstellerpreise gab es dagegen für Wang Xiaoshuais meisterhaftes dreistündiges Epos "So Long, My Son" - den schönsten und besten Film des Wettbewerbs.

"Nur" über 16 Filme hatte die von Juliette Binoche geleitete sechsköpfige Jury zu entscheiden. Zhang Yimous "One Second" wurde im Laufe des Festivals aus dem Programm genommen, offiziell aufgrund technischer Probleme, vielfach wurde aber spekuliert, dass China eine Aufführung verbot, da es darin um die Kulturrevolution geht. Andererseits scheint aber wenig wahrscheinlich, dass gerade ein Regisseur, der in den letzten Jahren politisch völlig unbedenkliche Filme drehte und 2008 sogar die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Olympischen Spiele in Peking inszenieren durfte, nun einen wirklich kritischen Film über sein Heimatland drehte.

Zimperlich geht nämlich auch Wang Xiaoshuai in seinem dreistündigen "So Long, My Son", der am Donnerstag als letzter Wettbewerbsfilm für den absoluten Höhepunkte sorgte, nicht mit der chinesischen Politik und Gesellschaft um. In komplexer Rückblendenstruktur, der nicht immer leicht zu folgen ist, zeichnet Wang am Schicksal eines Paares, das einen Sohn durch einen Unfall verliert, ein breites Panorama der chinesischen Geschichte der letzten 30 Jahre.

Die "Ein-Kind-Politik" wird dabei ebenso scharf kritisiert wie Massenentlassungen in einer Fabrik oder Verhaftungen nach Geheimen Partys, bei denen zum Beispiel zum Boney M. Hit "By the Rivers of Babylon" getanzt wird. Aber auch das moderne China bekommt sein Fett ab, wenn die Protagonisten bei der Rückkehr in ihre Heimatstadt diese völlig verändert vorfinden und feststellen, dass alle Spuren der Vergangenheit – und gewissermaßen ihrer Geschichte – ausgelöscht wurden.

Die Qualität dieses episch breiten Films, der jeder Szene die Zeit lässt, die sie braucht, besteht aber nicht in dieser politischen Anklage, sondern in der meisterhaften Verknüpfung der privaten Geschichte mit der gesellschaftlichen. Der schwere persönliche Verlust, der am Beginn des Films steht, überschattet zwar das ganze weitere Leben des Paares, dass es keine Überwindung dieses Verlusts geben konnte, lag aber auch an den politischen Verhältnissen.

Die Darstellerpreise für Yong Mei und Wang Jingchun sind zwar durchaus verdient, doch auf jedem Festival der Welt hätte dieses zutiefst bewegende Meisterwerk, das auch ein breites Publikum ansprechen kann, auch den Hauptpreis verdient. Dieser ging nun an Nadav Lapids zweifellos einfallsreichen und wilden, aber auch etwas zerfaserten "Synonymes". Dass dieser Film mit seiner fragmentierten Erzählweise, die den Zuschauer fordert, auch den Preis der Internationalen Filmkritiker gewann, überrascht dagegen wenig.

Wohl auch aus aktuellen Gründen konnte die Jury "Grâce á dieu", in dem sich François Ozon nach einem authentischen Fall mit dem sexuellen Missbrauch durch katholische Priester auseinandersetzt, nicht übergehen und zeichnete das Drama mit dem "Großen Preis der Jury" aus.

Einen Silbernen Bären für die beste Regie gab es für Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber", an dem sich die Geister wie an keinem zweiten Film des Wettbewerbs schieden, während Nora Fingscheidt, die in "Systemsprenger" von einem Kind erzählt, gegen alle Ordnungen rebelliert, mit dem Alfred-Bauer-Preis.

Der Drehbuchpreis für "La paranza dei bambini" scheint insgesamt eher ein Votum für die Parteinahme für Kinder, die hier in einen Strudel der Kriminalität geraten, als für ein besonders raffiniertes oder ausgefeiltes Buch. Mehr hätte man diesen Preis Teona Strugar Mitevska für "God Exists, Her Name is Petrunija" gegönnt. Von der offiziellen Jury übersehen wurde diese makedonische Satire auf die patriarchale Gesellschaft und die Bürokratie, die auch ein kraftvolles Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau ist von der Ökumenischen Jury ausgezeichnet.