66. Berlinale: Solide, aber nicht berauschend - Ein Resümee

Typisch für die Ära Dieter Kosslick, der seit 15 Jahren das größte deutsche Filmfestival leitet, war auch die heurige Berlinale: Gesellschaftspolitisches Engagement wurde groß geschrieben, einige starke Filme konnte man entdecken, aber das herausragende Meisterwerk fehlte.

Mit echtem, lustvollem Kintopp und großem Starauflauf begann das Festival mit "Hail, Caesar!" der Coen-Brüder. Das war es dann aber auch schon mit der ebenso großzügigen wie intelligenten Unterhaltung. Ernst wurde es in den folgenden zehn Tagen, lachen konnte man - zumindest im Wettbewerb - nur noch selten.

Großgeschrieben wurde das gesellschaftspolitische Engagement. Von der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa ("Fuocoammare") bis zum Blick aufs heutige Tunesien ("Hedi") und von den Gefahren des Cyber-War ("Zero Days" von Alex Gibney) bis zu einem mexikanischen Migranten, der durch Militärdienst in der US-Army die US-Staatsbürgerschaft erhalten will ("Soy Nero" von Rafi Pitts) spannte sich der Bogen.

Spannend waren die Inhalte, breit gestreut der Wettbewerb, doch wirkliche Glücksgefühle lösten nur wenige Filme wie Mia Hansen-Loves L´avenir" oder André Téchinés "Quand a 17 ans" aus. Gibneys Dokumentarfilm über den Internetwurm Stuxnet, den wohl die USA und Israel für die Bekämpfung des iranischen Atomprogramms entwickelten, beginnt zwar wie ein Thriller und besticht durch die packende Aufbereitung der umfangreichen Recherchen, leidet bei einer Länge von zwei Stunden aber auch einerseits unter Redundanz, andererseits an den Talking Heads, die freilich bei diesem Thema kaum zu vermeiden sind. Beunruhigung löst "Zero Days" mit dem Aufzeigen von Gefahren künftiger Cyber-Wars und dem Appell zu Transparenz und internationalen Absprachen im Stile der Atomwaffenabkommen während des Kalten Krieges dennoch aus.

Der Iraner Rafi Pitts verliert sich dagegen etwas mit seinem mexikanischen Protagonisten in einem Kriegsgebiet im Nahen Osten. Solide, aber auch überraschungsarm und damit etwas spannungsarm inszeniert ist zwar diese Geschichte um den jungen Nero, der über den Grenzzaun in die USA flüchtet, zuerst ein paar Tage in einer Luxus-Villa, in der sein Bruder angestellt ist, verbringt, dann für die USA in den Krieg zieht.

Aber Pitts gehört eben zu den Stammgästen der Berlinale, die Kosslick und sein Team immer wieder holen – solange nicht Cannes Interesse zeigt. Hat einer aber einmal wie Ashgar Farhadi mit "Naser and Simin – A Separation" in Berlin triumphiert, geht er mit seinem nächsten Film an die Côte d´Azur. Von dort zurück nach Berlin kehren die Regisseure meist mit einem etwas schwächeren Werk wie heuer Thomas Vinterberg mit "Die Kommune" oder Jeff Nichols mit "Midnight Special".

Zwar gab es im Wettbewerb mit der Verfilmung von Hans Falladas "Jeder stirbt für sich allein" und Michael Grandages "Genius" auch Filme, die von der Ausgangslage her großes klassisches Kino bieten hätten können. Aber ersterer, der den den englischen Titel "Alone in Berlin" erhielt, kam aber über einen sterilen Europudding, den einzig Brendan Gleeson und Emma Thompson genießbar machten, nicht hinaus, und letzterer war zwar durchaus angenehm anzuschauen, wird aber kaum in die Filmgeschichte eingehen.

Totale Flops und Ärgernisse gab es zwar bei dieser Berlinale nicht, aber eben auch nicht die Glanzlichter. Gewünscht hätte man sich – wie in früheren Jahren – einige der Höhepunkte vom heurigen Sundance Film Festival, doch entweder will die Berlinale nicht nachspielen oder bekam Filme wie Kelly Reichardts "Certain Woman", Nate Parkers "The Birth of a Nation" oder Kenneth Lonergans "Manchester by the Sea" einfach nicht.

Und auch aus der Sektion Berlinale Special hätte man sich zumindest Terence Davies´ "A Quiet Passion" im Wettbewerb gewünscht. Das hochliterarische Biopic über die amerikanische Dichterin Emily Dickinson mag in seiner Dialoglastigkeit zwar kaum der beste Film des Briten sein, besticht aber in seiner formalen Konsequenz und lässt dem Werk der Dichterin viel Raum. – Einen soliden, aber kaum berauschenden Wettbewerb hätte zwar auch Davies´ Film nicht gekrönt, aber doch gut mithalten können.