66. Berlinale: Goldener Bär für Gianfranco Rosis Lampedusa-Doku "Fuocoammare"

Die Favoriten setzten sich bei der Preisverleihung der Berlinale weitgehend durch. Einzig, dass André Téchinés "Quand a 17 ans" leer ausging, schmerzt. Der französische Altmeister hätte sich für dieses Teenagerdrama endlich den Hauptpreis eines großen Festivals verdient.

Seit seiner Uraufführung am dritten Festivaltag lag Gianfranco Rosis "Fuocoammare" im Kritikerspiegel des Branchenblatts Screen klar vorn. Wohl nicht nur aus künstlerischen Gründen, sondern wohl auch aufgrund der brennenden politischen Aktualität zeichnete nicht nur die von Meryl Streep geleitete offizielle Jury, sondern auch die Ökumenische Jury diesen Dokumentarfilm aus, in dem Rosi dem beschaulichen Leben auf Lampedusa die Flüchtlingskatastrohe vor der kleinen Mittelmeerinsel gegenüberstellt.

Während Rosi damit zum zweiten Mal nach dem Goldenen Löwen von Venedig für "Sacro Gra" im Jahr 2013 mit dem Hauptpreis eines der großen europäischen Filmfestivals ausgezeichnet wurde, muss der 71-jährige André Téchiné trotz seines umfangreichen Werks immer noch auf eine solche Auszeichnung warten.

Verdient hätte er eine solche für sein wunderbar leichtes und doch sehr feinfühliges und genaues Teenagerdrama "Quand a 17 ans" auf jeden Fall, doch auch der nicht einmal halb so alten Mia Hansen-Løve ist der Preis als beste Regisseurin für "L´avenir" zu gönnen.

Vertretbar ist sicher auch der "Große Preis der Jury" für Danis Tanovics "Death in Sarajewo". Zum zweiten Mal nach 2013 für "An Episode in the Life of an Iron Picker" kann der bosnische Regisseur damit diesen Berlinale-Preis mit nach Hause nehmen. Etwas überraschend ist aber, dass "Death in Sarajewo" auch mit dem Filmkritiker-Preis FIPRESCI ausgezeichnet wurde, geht dieser doch sonst meist an formal innovativere Filme.

Während die Auszeichnung von Majd Mastoura als bester Schauspieler für seine Darstellung in Ben Attias "Hedi", der auch als bestes Debüt ausgezeichnet wurde, etwas überrascht, aber durchaus in Ordnung geht, gehörte die Dänin Trine Dyrholm bei den Schauspielerinnen ganz klar zu den Favoriten.

Thomas Vinterbergs Verfilmung seines autobiographisch gefärbten Theaterstücks "Die Kommune" vermochte zwar nicht zu überzeugen, weil er einerseits zu sehr auf einer Dreiecksgeschichte fokussiert und die Kommune in Folge vernachlässigt, andererseits unentschlossen zwischen komödiantischen Momenten und Drama schwankt, aber die schauspielerischen Leistungen sind exzellent.

Vor allem brilliert Dyrholm als Frau, die zunächst locker damit umgeht, dass ihr Mann eine Geliebte hat, sogar vorschlägt, dass auch diese deutlich jüngere Frau im großen Kopenhagener Haus einziehen soll, es aber dann immer weniger erträgt, in unmittelbarer Nähe von ihrem Mann und seiner Geliebten leben zu müssen.

Logische Sieger gab es auch bei den für besondere künstlerische Leistungen reservierten Preisen. Einerseits wurde der Kameramann Mark Lee Ping-bing des chinesischen Wettbewerbsbeitrags "Crosscurrent" (Regie: Yang Chao) für seine großartigen Bilder dieser sehr langsamen und symbolbeladenen Reise auf dem Yangtse ausgezeichnet.

Andererseits kam die Jury auch kaum an Lav Diaz´ achtstündigem "A Lullaby to the Sorrowful Mystery" vorbei und verlieh diesem Monstrum von Film den "Alfred Bauer Preis", mit dem neue Perspektiven der Filmkunst gekürt werden sollen. In den von diesem Regisseur gewohnten endlos langen, distanzierten Halbtotalen wird von der gescheiterten philippinischen Revolution gegen die spanischen Kolonialherren in den Jahren 1896/97 erzählt.

Schon verloren ist der Kampf, wenn der Film beginnt, wird doch schon in der ersten Einstellung einer der Anführer standrechtlich erschossen, der zweite wird wenig später ermordet und in der Folge von seiner Frau und einigen Begleiterinnen im Dschungel gesucht.

Diaz vermischt Geschichte und Mythos, historische und literarische Figuren, lässt das Geschehen in den statischen Einstellungen sich wie auf einer Theaterbühne entwickeln und reflektiert weniger über das Historische als vielmehr über das Wesen des Menschen und die Finsternis der Seele. Denn Verrat ist ein zentrales Motiv und beinahe alle Figuren machen sich dessen schuldig, doch Diaz schickt zumindest einen der Protagonisten auf eine lange Reise der Läuterung.

Einen suggestiven Sog entwickelt dieser im 4:3-Format gedrehte Film mit seinen tiefenscharfen und kontrastreichen Schwarzweißbildern und seinen Naturgeräuschen als Tonkulisse, kann diesen aber nicht über seine gesamte Länge aufrecht erhalten und wirkt zumal in der ersten Hälfte auch zerrissen zwischen mehreren Erzählsträngen.

Den Silbernen Bären für das beste Drehbuch verlieh die Jury schließlich dem polnischen Drehbuchautoren und Regisseur Tomasz Wasilewski, der in "United States of Love" nur lose verbunden von vier Frauen erzählt, deren Sehnsucht nach Liebe sich in einem tristen Polen der frühen 1990er Jahren nicht erfüllt: Ein in seinen desaturierten Farben und der Evokation der Trostlosigkeit konsequenter, in seiner Abfolge von Enttäuschungen und seiner Hoffnungslosigkeit aber auch deprimierender Film.