IFFI 2009: Vielfältig und niveauvoll

14. Juni 2009
Bildteil

Große Meisterwerke konnte man beim 18. Internationalen Film Festival Innsbruck zwar nicht entdecken, aber das Programm überzeugte durch große Vielfalt und ein insgesamt ansprechendes Niveau. Wenig überraschend ging der Publikumspreis an das ecuadorianische Roadmovie "Qué tan lejos" und auch die Auszeichnung von Haile Gerimas "Teza" mit dem mit 5000 Euro dotierten "Filmpreis des Landes Tirol" überraschte kaum.

Wirklich neue Filme kann man beim Internationalen Film Festival Innsbruck kaum entdecken, Weltpremieren sichern sich größere Veranstaltungen. Für Höhepunkte in der Alpenstadt sorgen deshalb in der Regel Filme, die schon auf anderen Festivals wie Venedig, Cannes oder dem ebenfalls auf Filme aus den Südens spezialisierten Fribourg liefen und dort für Aufsehen sorgten, oder Werke, die Walter Ruggles Trigon-Verleih, mit dem das IFFI kooperiert, schon in die Schweizer Kinos brachte. Zu letzteren gehörten beispielsweise von den Wettbewerbsfilmen die bosnische Frauengeschichte "Snijeg" und das ecuadorianische Roadmovie "Qué tan lejos".

In ihrem Spielfilmdebüt begleitet Tania Hermida zwei gegensätzliche Frauen auf ihrer Reise von Quito durchs Andenhochland nach Cuenca. Es geht dabei nicht um eine dramatische Handlung, sondern ums Unterwegssein an sich und die Begegnungen, die den Blick auf Land und Leute, aber auch auf sich selbst verändern. Dass "Qué tan lejos" in Innsbruck mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, überraschte kaum, bietet er doch mit der prachtvoll eingefangenen Andenlandschaft sowie der langsamen Annäherung der Protagonisten und dem optimistischen Erzählton genau die Mischung aus Unterhaltung und Anspruch, die ein Großteil des Publikums schätzt.

Auch die Verleihung des Hauptpreises an "Teza" geht in Ordnung, obwohl diese äthiopische Geschichtslektion mit Mama Keïtas "L´absence" einen starken Konkurrenten im Wettbewerb hatte. Der in Dakar als Sohn eines guineischen Vaters und einer vietnamesischen Mutter geborene und im Senegal und in Frankreich aufgewachsene Regisseur erzählt darin von einem Afrikaner, der nach 17 Jahren Abwesenheit in seine Heimat zurückkehrt. In Frankreich längst zum erfolgreichen Ingenieur aufgestiegen, will er aber nur zwei Tage bleiben. Fremd ist ihm die Heimat geworden, Distanz hält er auch zu seiner taubstummen Schwester, der er die Schuld am frühen Tod der Mutter gibt. Völlig abgeschottet hat er sich während seiner Auslandsaufenthalt von seiner Heimat, reagierte weder auf Briefe seiner Schwester, die ihn als emotionale Stütze so dringend nötig gehabt hätte und immer noch hätte, noch auf die seines Jugendfreundes, und negiert auch jetzt die Verantwortung gegenüber seinem Land, die sein früherer Professor einfordert.

Aktiv wird er freilich, als er feststellt, dass seine Schwester nicht zuletzt aufgrund seiner Ignoranz zur Prostituierten geworden ist. Plötzlich sind ihm Familienehre wichtig und er will völlig mit ihr brechen und verstößt sie aus der Familie, ehe sich seine Aggressionen gegen den Zuhälter richten und er seine Verantwortung für seine Schwester doch noch erkennt und sie zu retten versucht.

"L´absence" ist eine für einen afrikanischen Film ganz untypische schnörkellos und zügig erzählte Charakterstudie, die sich langsam in einen Thriller verwandelt. Die evidenten Probleme wie Fehlen der intellektuellen Elite in der Heimat und Entwurzelung arbeitet Keïta zwar klar heraus, trägt seine Botschaft aber nie prätentiös vor sich her, sondern verpackt sie in eine konsequent und spannend erzählte konkrete Geschichte. Gegenpol zu diesem Film war Semih Kaplanoglus "Süt - Milch", der zwar mit seinen langen, meist statischen Einstellungen durch stilistische Konsequenz beeindruckt, sich aber mit Fortdauer immer mehr in einen Symbolismus steigert, bei dem Bedeutungsschwere behauptet wird, wo sich letztlich nichts – oder zumindest für den Zuschauer kaum dechiffrierbares - in oder hinter den Bildern verbirgt.

Auffallend war heuer in Innsbruck vor allem die starke Fokussierung auf dem Schicksal von Kindern und Jugendlichen. Eugenio Polgovsky beobachtet beispielsweise in "Los herederos" sehr genau und zurückhaltend, nicht nur kommentarlos, sondern auch fast wortlos Kinder bei der Landarbeit in unterschiedlichen Regionen Mexikos, bei der Ernte, in einer Ziegelei, bei der Waldarbeit oder beim Viehhüten. So eindrücklich das am Beginn aber auch ist und so geschickt der Regisseur in Schnitten von einem Mädchen auf das zerfurchte Gesicht einer alten Frau mehrfach gewissermaßen die Vergangenheit der Frau wie auch die Zukunft des Mädchens in einem prägnanten Bild bündelt, so sehr ermüdet dieser Dokumentarfilm durch die Wiederholung ähnlicher Szenen und den Verzicht auf jede Entwicklung und Vertiefung des Themas auf Dauer. Andererseits ist er durch dieses Repetitive freilich auch der alltäglichen Kinderarbeit, aus der es kein Entkommen zu geben scheint, erfahrbar.

Den Blick auf die Situation von Kindern auf vier Kontinenten richtet dagegen der Ungar Ferenc Modoványi in "Another Planet – Másik Bolgyó", der in Innsbruck mit dem von einer SchülerInnenjury vergebenen "Südwind-Filmpreis" ausgezeichnet wurde. Ohne Inserts zu Orten und ohne Nennung der Namen der Kinder schweift der Film über die Kontinente, lässt die Kinder mal über ihre Situation, ihr Abgleiten in die Prostitution oder das Fehlen der Mutter ausführlich erzählen, mal verlässt er sich ganz auf die Bilder, wenn er Schuhputzer, Straßenhändler oder Müllsammler zeigt.

Die bedrückenden Erzählungen stehen dabei in scharfem Kontrast zu den bestechenden Bildern und vor allem zu den warmen Tönen eines die einzelnen Episoden verbindenden Rahmens, der wie ein – durch einen Schamanen und entsprechende Musik allerdings auch reichlich esoterisch wirkender – paradiesischer Gegenentwurf zur Realität wirkt. Keine dramatische Handlung wird hier aufgebaut, vielmehr wird gerade durch den Verzicht auf jede Individualisierung poetisch ein Gesamtbild gezeichnet und mit gleitenden Kamerafahrten entlang trostloser Barackensiedlungen und Straßenzügen, die von sanftem Jazz begleitet werden, eine melancholische Stimmung evoziert, die stärker und nachhaltiger wirkt als schonungsloser, aber platter Realismus. Nicht von Einzelschicksalen emotional ergriffen, sondern immer an die globale Situation von Kindern denkend, lässt "Another Planet" so den Zuschauer bewegt und berührt zurück.