Geschichte und Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit der Schweiz

Das Landesmuseum Zürich präsentiert erstmals einen umfassenden und multiperspektivischen Überblick über die Kolonialgeschichte der Schweiz. Dies geschieht auf der Basis neuester Forschungsergebnisse, anhand von Biografien und illustriert mit Objekten, Kunstwerken, Fotografien und Schriftdokumenten.

Die Ausstellung gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil werden elf Handlungsfelder, in denen Schweizer Personen, Firmen oder Gemeinwesen seit dem 16. Jahrhundert kolonial aktiv waren, anhand zahlreicher Fallbeispiele thematisiert. Der geografische Bogen spannt sich von Nord- und Südamerika über Afrika bis nach Asien. Einzelne Schweizer Firmen und Privatpersonen beteiligten sich am transatlantischen Sklavenhandel oder verdienten am Handel mit Kolonialprodukten und an der Ausbeutung versklavter Menschen.

Kein anderer Rohstoff ist so eng mit der Sklaverei verbunden wie die Baumwolle. Ab dem 16. Jahrhundert errichteten Europäer Plantagen und Minen in der Karibik und den beiden Amerikas und begannen, versklavte Menschen aus Afrika zu importieren. Dieser sogenannte transatlantische Sklavenhandel erreichte seinen Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Über 250 Schweizer Firmen, Privatpersonen und einzelne Gemeinden waren an diesem transnationalen Geschäft beteiligt und verdienten mit Sklavenhandel und Sklavenarbeit zum Teil ein Vermögen, andere erlitten grosse Verluste. Schätzungen gehen davon aus, dass sie an der Verschleppung von etwa 172.000 Menschen beteiligt waren. Insgesamt wurden etwa 11-12 Millionen versklavte Menschen aus Afrika in die Kolonien verschleppt.

Schweizer Missionare sind seit dem 16. Jahrhundert in fast alle Regionen der Welt gereist, um den dort lebenden Menschen den christlichen Glauben zu bringen. Das Kreuz steht dabei nicht nur für die Missio, also die Verbreitung des Evangeliums, sondern auch für die Vorstellung, dass die christliche Religion und die europäische Kultur allen anderen überlegen seien. Zurück in der Heimat vermitteln die Missionare das Bild unterlegener Kulturen in den Kolonialgebieten. Frauen durften lange Zeit nur als Ehefrauen in der Mission tätig sein, erst ab 1901 rekrutierte z.B. die Balser Mission auch ledige Frauen als Missionarinnen.

Andere, getrieben von Armut oder Abenteuerlust, dienten als Söldner in europäischen Armeen, die koloniale Eroberungen unternahmen und gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung kämpften. In der Heimat prägten neben Briefen und Berichten aus den Kolonien auch die Wissenschaften den Blick auf die Menschen in den Kolonien. An den Universitäten Zürich und Genf formulierten Wissenschaftler Rassentheorien, die international verbreitet wurden und der Legitimation des Kolonialsystems dienten.

Unter dem Schutz der Kolonialregierungen wurde auch Wissenschaft betrieben, und nicht wenige Schweizer reisten in die Kolonien. Stellvertretend dafür steht das Fernrohr des renommierten Basler Naturforschers Paul Sarasin, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Forschungsexpeditionen in die Kolonialgebiete unternimmt. Schweizer Wissenschaftler vermessen Menschen und Tiere für wissenschaftliche Zwecke, fotografieren sie, klassifizieren sie und bringen Fundstücke und auch menschliche Überreste zurück in die Schweizer Museen. Die Ergebnisse dieser Forschungen spiegeln und konstruieren die rassistischen Einstellungen der Zeit und rechtfertigen die koloniale Expansion. Eine andere Form der Ausbeutung ist die Aneignung von indigenem Wissen über Landschaften, Tiere oder Pflanzen. Europäer ziehen daraus Ruhm und Profit, ohne die Urheberschaft zu deklarieren oder die Indigenen einzubeziehen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt die Hauptphase der Dekolonisation. Vor allem mit den neu unabhängigen Ländern Afrikas versuchte die Schweiz ab den 1960er Jahren, gute wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen. Schliesslich sind diese noch jungen Staaten interessante Absatzmärkte. Anhand von drei Beispielen (Senegal, Ruanda und Südafrika) werden Facetten der schweizerischen Aussenpolitik beleuchtet.

Der zweite Teil der Ausstellung geht der Frage nach, was das koloniale Erbe für die Schweiz heute bedeutet. Aufgezeigt werden Folgen des Kolonialismus, die bis heute spürbar sind - etwa in der global ungleichen Verteilung von Wohlstand oder im Umweltbereich. Im Zentrum stehen aber auch Debatten, welche die Schweizer Bevölkerung direkt beschäftigen: Sollen beispielsweise Strassennamen oder Denkmäler von Personen, die am Kolonialismus beteiligt waren, geändert, bzw. gestürzt werden, oder wird dadurch die Geschichte zensiert? Die Bronzefigur des Genfer Künstlers Mathias C. Pfund - es handelt sich um eine gestürzte Miniatur des Neuenburger Kaufmanns David de Pury, der im 18. Jahrhundert in den Sklavenhandel verwickelt war - verweist auf die aktuelle Debatte, ob Denkmäler von grossen Männern mit kolonialer Vergangenheit entfernt werden sollen.

Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, zu diskutieren und ihre Gedanken zum Thema in der Ausstellung zu hinterlassen. Was bedeutet das koloniale Erbe für die Schweiz heute? Eine dialogische Videoinstallation spannt in Form eines inszenierten Podiums einen inhaltlichen Bogen von kolonialen Spuren im Alltag über die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe in Institutionen und im öffentlichen Raum bis hin zur Frage nach der Verantwortung und Wiedergutmachung der heutigen Schweiz.

kolonial – Globale Verflechtungen der Schweiz
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