Zum Phänomen des Plattform-Urbanismus - Österreich-Beitrag zur 17. Internationalen Architekturausstellung

Im Mittelpunkt von Platform Austria steht das Phänomen Plattform-Urbanismus. Plattform-Urbanismus markiert einen der wichtigsten Umbrüche in der Gestaltung unserer Umwelt und ihrer Architektur. Er betrifft die Veränderungen, die der Aufstieg digitaler Plattformen in sämtlichen Bereichen unseres Lebens bewirkt – von Wohnen, Arbeiten und Lernen bis zu Gesundheit, Freizeit und Kultur.

Die Pandemie der vergangenen Monate hat uns deutlich vor Augen geführt, wie stark wir in unserem Alltag mittlerweile von Plattformen abhängig sind und wie sehr das Benutzen von Plattformen unsere Umwelt verändert. Anstelle einer Architekturgeschichte der Helden und der Schurken, der Guten und der Bösen präsentieren die beiden Kuratoren Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer in ihrem Beitrag zur Biennale Architettura 2021 eine Reihe von Analysen, die dazu inspirieren sollen, uns mit diesen Veränderungen auseinanderzusetzen und daran zu beteiligen. "Platform Austria" versteht sich als Plattform der aktiven Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zukunft der Stadt und ihrer Architektur.

Alte Ordnungen und Strukturen, und damit auch die herkömmliche Organisation von Städten, geraten mit Plattformen zunehmend unter Druck. Die Stadt ist für die Plattform-Ökonomie aus zweierlei Gründen interessant: Sie liefert eine Fülle an Informationen in Form von Daten, die durch Plattformen aufbereitet und weiterverwendet werden können. Zugleich ist die Stadt auch der größte Verwertungsmarkt. Das heißt, Städte sind für Plattformen als Ressource und Markt gleichermaßen interessant.

Die steigende Vielfalt an Datentechnologien und die Zunahme von Plattformanwendungen, die Möglichkeiten zur Nutzung dieser Daten versprechen, haben die Ziele der Stadtentwicklung grundlegend verändert. Das städtische Leben selbst wird jetzt als entscheidender Mechanismus für Wirtschaftswachstum und Vermögensbildung erkannt. Große Plattform-Unternehmen erweitern dementsprechend ihre Geschäftsmodelle und engagieren sich zusehends bei der Entwicklung von Städten, um Infrastrukturen und Services so zu planen, dass sie bestmögliches Datenmaterial liefern.

Plattformen präsentieren sich oft als schwer kontrollierbare, undurchschaubare und schwankungsanfällige Technologieunternehmen. Ihre materielle Erdung im städtischen Alltag gewährt aber einen guten Blick darauf, wie das von ihnen gesteuerte Zusammenwirken von digitalen Netzwerken, Menschen und urbanem Raum in Wohn- und Arbeitsumwelten eingreift und dabei eine neue Architektur des Gemeinwesens suggeriert. Diese Architektur in ihrer gebauten und gelebten Form zu hinterfragen und mitzugestalten ist das Anliegen von "Platform Austria".

2019 wurde ein Diskussionsprozess mit beinahe 100 Personen aus unterschiedlichsten Disziplinen und Ländern gestartet, in der Erwartung, während der ursprünglich für 2020 geplanten Biennale Dutzende versierte Theoretiker_innen, Architekt_innen und Künstler_innen aus der ganzen Welt im österreichischen Pavillon als Gäste zu empfangen. Mit diesen Bloggers in Residence – von Peggy Deamer bis Teddy Cruz und von Saskia Sassen bis Slutty Urbanism – waren wöchentliche Live-Debatten geplant. Ziel dieser Auseinandersetzungen waren eine umfassende Bestandsaufnahme von Plattform-Urbanismus und weitreichende Empfehlungen für die Architekturpraxis.

Aufgrund der Pandemie musste das Vorhaben in der Art der Durchführung adaptiert werden: Von ihren eigenen Wohn- und Arbeitsorten aus haben die eingeladenen Expert_innen von September 2020 bis März 2021 hunderte Blog-Beiträge zu Plattform- Urbanismus verfasst, die nun online unter » www.platform-austria.org zu lesen sind und im österreichischen Pavillon in einer multimedialen Installation erfahren werden können. Zusätzlich konnten alle diese Beiträge auch als umfangreiche Publikation (Platform Urbanism and Its Discontents, nai010 publishers, 2021) veröffentlicht werden, die den flüchtigen Dimensionen von digitalen Plattformen ein Stück materielle Realität entgegenhält und nun bereits zur Eröffnung des Pavillons vorliegt.

Wesentlich für die beiden Kuratoren ist es nach wie vor, möglichst viele unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum Thema für Interessierte anzubieten: Dies passiert neben der Präsentation in Venedig auch online durch eine umfassende Präsenz von Blog-Beiträgen, Videos und Diskussionen (Website), partizipative Formate (Social Media und Image Bank) und eine Dependance in Wien (MAK Forum) sowie durch eine für den Herbst geplante Reihe von Diskussionsveranstaltungen in Venedig.

Platform Austria
Österreich Pavillon auf der 17. Internationalen Architekturausstellung
La Biennale di Venezia (22. Mai bis 21. November 2021)