Zeugen der Veränderung

Prächtige Bürgerhäuser, adelige Palais, Klöster und Spitäler: Bis zu ihrer Demolierung prägten sie Wien, heute sind sie meist vergessen. Doch die Menschen, die einst in diesen Gebäuden lebten, hinterließen ihre Spuren und verewigten sich mit Hauszeichen, Wappen, Gedenktafeln und Inschriften. Davon haben einige den Abriss der Gebäude überlebt – und direkt oder über Umwege den Weg ins Depot des Wien Museums gefunden. Die Ausstellung holt solche "Steinerne Zeugen" erstmals seit vielen Jahren ans Licht: ein fesselnder Streifzug durch 400 Jahre Stadtgeschichte.

Wie bei den Ausstellungen "Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war" und "Wien war anders. August Stauda, Stadtfotograf um 1900" basiert die Schau auch diesmal auf weitgehend unbekannten Beständen des Wien Museums. Beim ältesten Objekt handelt es sich um eine kunstvolle spätgotische Balkonbrüstung eines Bürgerhauses am Fleischmarkt, beim jüngsten um die "Vindobona" (um 1860), einen monumentalen Frauenkopf vom Bürger-Versorgungshaus am Alsergrund. Rund neunzig schwergewichtige Exponate aus dem Lapidarium wurden behutsam restauriert, ohne dass dabei die historische Patina verloren gegangen ist. Bildquellen und Hintergrundinformationen erläutern historische Zusammenhänge und geben Einblick in das Leben von Handwerkern und Gelehrten, Wiener Bürgermeistern und Klosterfrauen, geadelten Bürgern und Kaiserinnen.

Die Schau gliedert sich in vier Bereiche: Bürgerhäuser, Adelspaläste, Kirchen & Klöster sowie Öffentliche Bauten. Die Relikte von Wiener Bürgerhäusern dokumentieren den raschen Besitzerwechsel – denn kaum eine Familie behielt ihr Haus über mehrere Generationen, die geringe Lebenserwartung und Überschuldung waren dafür die häufigsten Gründe. Umso wichtiger wurden öffentliche "Markierungen", mit denen die Bürger die Erinnerung an die eigene Person und den gesellschaftlichen Stand wach halten wollten. Gelegenheit dazu boten die zahlreichen Aus- und Umbauten sowie Aufstockungen, die nach der zweiten Türkenbelagerung 1683 boomten.

In der Ausstellung zu sehen sind etwa eine Christusfigur sowie Apostelfiguren vom Haus Hafnersteig 7. Sie wurden im 16. Jahrhundert vom Hafnermeister Clement Passauer nicht nur als frommes Zeichen, sondern vor allem als öffentliche Gewerbedarstellung angebracht und vermitteln in ihrer Farbenpracht einen Eindruck davon, wie bunt und reich geschmückt viele Wiener Häuser einst waren. Andere Hauszeichen erinnern wiederum daran, dass Häuser einst keine Adresse hatten, sondern mit Attributen wie "Zum Heiligen Florian", "Zur schönen Sklavinn", "Zu die drei Ritter" oder "Zum Burgundischen Kreuz" bezeichnet wurden. Neben Größen wie dem Humanisten Johannes Cuspinian oder Joseph Emanuel Fischer von Erlach spielen auch bislang weniger bekannte Wiener Bürger in der Ausstellung eine Rolle.

Reste von Adelspalästen sind vor allem dann erhalten, wenn sie von der Stadt erworben wurden, um sie nach ihrer Demolierung oder einem Generalumbau anders zu nutzen. Beispiele dafür sind das Palais Esterházy-Arenberg, das Schloss Pötzleinsdorf oder das Czartoryski-Palais. Nicht zufällig trennte man sich von klassizistischen Bauwerken rascher als von barocken Palästen. Denn anders als in Italien, Frankreich oder England blieb die Rezeption der klassischen Antike in Wien eine vom Kaiserhaus geförderte Episode, um letztlich im 19. Jahrhundert wieder auf das Barock als "Reichsstil" zurückzugreifen. Zu sehen sind u. a. Teile eines Reliefs vom Gartenpalast Czartoryski im Vorort Weinhaus (heute in Währing), das Wappen vom Sommersitz des Grafen Sommerau in der Vorstadt Windmühle und ein bemerkenswerter Ofen in Baumform aus einem Kaiserlichen Gartenpalast in Hetzendorf (Beethoven-Haus).

Die zunehmende Profanisierung der Stadt hinterließ ebenfalls ihre Spuren. Nachdem Joseph II. all jene Klöster auflösen ließ, die sich keinen sozialen Aufgaben widmeten, blieben oft nur die Epitaphe von Ordensschwestern oder Grundsteine übrig. So wird in der Ausstellung an das weiträumige "Königinkloster" am Josefsplatz erinnert, das 1582 von Erzherzogin Elisabeth von Österreich, Königin von Frankreich, gegründet wurde. Auch die frommen Andachtszeichen des Barock verschwanden im Laufe der Zeit, wie die Dreifaltigkeitssäule vom Schwendermarkt oder der "Christus in der Rast", eine Sandsteinfigur, die stark an Albrecht Dürer erinnert. Sie ist ein Beispiel dafür, dass viele Steindenkmäler an mehreren Orten – in diesem Fall innerhalb Erdbergs – aufgestellt wurden, im Fall des Christus zunächst wohl noch öffentlich, später dann in privaten Innenhöfen. Von der Modernisierung der Stadt ebenfalls betroffen waren die Linienkapellen, die aus Verkehrsgründen weichen mussten.

Das abschließende Kapitel der Ausstellung verweist auf den sozialen Auftrag der Verwaltung, arme, kranke und alte Bürgerinnen und Bürger zu versorgen. Von eminenter Bedeutung war das Bürgerspital, ein Riesenkomplex zwischen dem heutigen Lobkowitzplatz und der Kärntner Straße. Ein Inschrift- und Wappenstein zeugt vom sogenannten Bäckenhäusel, einem Versorgungshaus in der Währinger Straße, das 1907 demoliert wurde. Hier nahm man jene Patienten auf, die das gegenüberliegende Siechenhaus St. Lazar (später Bürgerversorgungshaus) "auf eigenen Füßen" verlassen konnten.

Das Bürgerspital in St. Marx gab es bereits im 13. Jahrhundert, nach Zerstörungen in den Türkenkriegen erfolgte die Eingliederung in das Wiener Bürgerspital, geschlossen wurde es 1861 nach Vollendung des neuen Bürger-Versorgungshauses in der Währinger Straße 45. Doch auch dieses hatte nur eine begrenzte Lebensdauer, es wurde 1929 demoliert. Überlebt hat es in der Büste eines alten Mannes (Plakatmotiv der Ausstellung) und in jener bereits erwähnten "Vindobona"-Figur, die einst "die Armut schützend" aufnahm und auf so manchen Bedürftigen tröstlich gewirkt haben mag.


Ausstellungkatalog: Steinerne Zeugen. Relikte aus dem alten Wien.
Hg.: Renata Kassal-Mikula; Eigenverlag Wien Museum, Wien 2008

Steinerne Zeugen
Relikte aus dem alten Wien
21. März 08 bis 11. Jänner 09