Zeichnen gegen das Vergessen

Im Mittelpunkt der Ausstellung "Zeichnen gegen das Vergessen" stehen mehr als 60 großformatige Porträts von Kindern und Jugendlichen, die zu Opfern des Nazi-Terrors wurden. Der Künstler Manfred Bockelmann (geb. 1943) hat für diese Arbeiten bewusst einfaches Material verwendet, er schuf Kohlezeichnungen auf Juteleinwänden. Bockelmann will mit dieser in den vergangenen Jahren geschaffenen Serie "Zeichen gegen das Vergessen" setzen.

Die porträtierten Kinder und Jugendlichen sind zwischen zwei und achtzehn Jahren alt, sie wurden am Wiener Spiegelgrund und in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau, Hartheim und Theresienstadt sowie anderen Orten zu Opfern des Nazi-Terrors. Diese jungen Menschen wurden zwischen 1941 und 1945 ermordet, weil sie Juden, Slawen oder "Zigeuner" waren, weil ihre Eltern Gegner des Regimes waren oder weil sie an körperlichen oder geistigen Gebrechen litten. Dem Rassenwahn des "Dritten Reichs" nach waren sie "Volksschädlinge", die es auszumerzen galt, um die vermeintliche "Reinheit des deutschen Blutes" zu gewährleisten.

Als Vorlagen der Porträts dienen erkennungsdienstliche Fotografien der damaligen Behörden – Gestapo, SS, Ärzteschaft –, die nach der Deportation der Kinder und Jugendlichen in den Spitälern und Lagern gemacht wurden. Sie tragen dann den berüchtigten breit gestreiften Häftlingsanzug, ihre Köpfe sind kahlgeschoren. Dagegen wurden andere, vornehmlich Roma und Sinti, in den Sammellagern dazu aufgefordert, sich bei den Behörden zum Fototermin zu melden. Sie tragen ihre besten Kleider, wollen guten Eindruck machen, wissen noch nicht, was ihnen angetan werden wird – und doch ist ihnen allen Angst und Unsicherheit deutlich ins Gesicht geschrieben.

Die Porträts zeigen zugleich schöne, junge Mitmenschen. Gerade in diesen Bildern der damals so genannten "Unreinen" zeigt sich eine reine Menschlichkeit. Der Anspruch des Künstlers, "gegen das Vergessen" zu zeichnen, meint nicht nur diese ganz besonderen jungen Menschen, die einen Namen und eine Biografie haben, sondern zielt darüber hinausgehend darauf ab, den Wert einer empathischen Mitmenschlichkeit nicht zu vergessen; sich seiner eigenen Mitmenschlichkeit inne zu werden – nicht nur der Vergangenheit gegenüber, sondern auch jetzt, in der Gegenwart.

Die Blicke der jungen Menschen in den Porträts bringen in den Betrachtenden etwas Verwandtes zum Klingen. Sie evozieren eine Verwandtschaft, ja eine Identität, die die Grundlage jeder humanistischen Ethik ist. Die Photographien der Nazi-Behörden sollten "die Anderen" zeigen, "das Andere" ablichten. Die Kohlezeichnungen Bockelmanns dagegen deuten auf "das Selbe" im Abgebildeten und im Betrachter, bilden eine Menschengemeinschaft, um die man sich zu sorgen hat. Ich-im-Anderen, der oder die Andere-in-mir – der Andere ist in Wahrheit der oder die "Nicht-Andere". Teil zu nehmen, Anteil zu nehmen, nicht wegzusehen, sich zu identifizieren – das ist hier die Botschaft.

Gewiss zerreißt es einem das Herz, verstummt einem die Sprache, will man nicht hinsehen. Und doch werden in diesem Geschehen dieselben jungen Menschen, denen man das Leben genommen hat, auf eine andere Weise wieder zum Leben erweckt. Die archaische, brüchige, von der Hand des Künstlers geführte Kohle wirkt auf ihre Weise gegen die Kälte und Stabilität der erkennungsdienstlichen Linse, gegen das mörderische, kein Widerreden duldende Arrangement. Dem Ernst dieses Themas kann man nur entsprechen, wenn man das Kreatürliche, das Fragile und Verletzliche, das in besonderer Weise Bedürftige annimmt und aufnimmt, es nicht versteckt, sondern positiv bestätigt.

Zeichnen gegen das Vergessen
17. Mai bis 2. September 2013