Wo Dinge wohnen. Das Phänomen Selfstorage.

Welche Dinge heben wir auf, und welche geben wir weg? Darüber entscheidet nicht nur der praktische oder emotionale Wert eines Gegenstands, sondern auch der vorhandene Platz zur Aufbewahrung – vor allem in der Stadt, wo Stauraum im eigenen Wohnhaus zunehmend Mangelware wird.

Wenn klassische Lagerräume wie Dachböden verschwinden und steigende Mieten den Umzug in eine größere Wohnung unerschwinglich machen, stellt sich die Frage: Wohin mit den Dingen, die immer mehr werden? Eine Option sind „Selfstorages“ — flexibel anmietbare Lagerabteile, die fast rund um die Uhr zugänglich sind.Das Geschäftsmodell der „Selbsteinlagerung“ „Self Service Storage“), das in den 1960er Jahren in den USA entwickelt wurde, erlebt seit den 2000er Jahren auch in Wien einen Boom.

Die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“ fragt nach den Gründen und Rahmenbedingungen für diesen Trend – und danach, wer diese neu geschaffenen Räume in welcher Form nutzt. Was erzählt das Phänomen Selfstorage über gegenwärtige Stadtentwicklung? Welche Rolle spielen beschleunigte Lebensstile und wachsende Mobilität und Flexibilität? Und welche Lebensentwürfe und biografische Einschnitte spiegeln sich in der Nutzung von Selfstorages wider? Herzstück der Ausstellung bilden Porträts von Wiener Selfstorage-NutzerInnen, wobei neben Videointerviews auch Teile ihrer ausgelagerten „Schätze“ zu sehen sind:

Sie reichen von privaten Fotoalben aus der Zwischenkriegszeit über Opernballkleider, Alltagsgegenständen aus der DDR und altem Kinderspielzeug bis hin zu Schnittmustern einer Wiener Modedesignerin und dem Tonbandarchiv eines Avantgarde-Komponisten.

Gerahmt werden diese Porträts mit zahlreichen Infografiken und einer umfangreichen Fotodokumentation von Klaus Pichler, der nicht nur das äußere Erscheinungsbild der neuen Selfstorage-Anlagen festgehalten hat, sondern auch deren innere Atmosphäre.

Der Boom einer neuen Dienstleistung

Ende der 90er Jahre eröffnete die Firma MyPlace den ersten Selfstorage-Standort am Stadtrand von Wien. Seither sind sowohl das Angebot von als auch die Nachfrage nach Selfstorage-Räumen in der Stadt rasant gewachsen: Allein MyPlace – bis heute Marktführer im deutschsprachigen Raum – eröffnete seit damals zehn weitere Filialen in der Stadt.

Verfügte die erste Anlage des Unternehmens noch über bescheidene 195 Quadratmeter Lagerfläche, so boten alle Standorte zusammen im Jahr 2018 bereits 47.739 Quadratmeter an. Mittlerweile gibt es rund 15 Anbieter am Wiener Markt, die insgesamt geschätzt 95.000 Quadratmeter Selfstorage-Lagerfläche an rund 60 Standorten anbieten. Rund zwei Dutzend weitere Selfstorage-Anlagen ergänzen das Angebot im Wiener Umland.

Rund zwei Drittel der Selfstorage-Fläche wird von Privatpersonen genutzt, der Rest von meist kleineren Gewerbebetrieben, VertreterInnen, Online-HändlerInnen oder SteuerberaterInnen, die hier ihre Akten auslagern. Wer Stauraum außer Haus sucht, kann zwischen mehrgeschoßigen „Häusern für Dinge“, weiträumigen Containeranlagen in den Außenbezirken sowie kleinen innerstädtischen Selfstorages wählen, die in leerstehenden Geschäftslokalen in der Erdgeschoßzone errichtet werden. Dieses dritte Segment verzeichnet aktuell die stärksten Wachstumsraten im Hinblick auf die Zahl neuerStandorte. Das sorgt auch für Kritik: StadtforscherInnen befürchten eine Verödung des öffentlichen Raums durch mit Werbung verklebte und zugemauerte Fensteröffnungen.

Wachsende Mobilität als zentraler Faktor für das Phänomen Selfstorage

Mit dem rasantem Wachstum der Branche liegt Wien im europäischen Trend. Doch was macht Selfstorage als Thema für ein Stadtmuseum so interessant? Der Trend zum Mietlager erzählt viel über die Herausforderungen an das heutige Leben in der Stadt. Europaweit zeigt sich, dass die Dienstleistung Selfstorage vor allem dort boomt, wo Menschen häufig umziehen. Die Zahl der Umzüge steigt auch in Wien seit einigen Jahren markant an: Rund zehn Prozent der Bevölkerung zieht jedes Jahr innerhalb von Wien um, was nicht zuletzt auch auf die Zunahme befristeter Mietverträge zurückzuführen ist. Berufliche Mobilität – ein zwischenzeitlicher Auslandsaufenthalt oder ein neuer Job in einer anderen Stadt – kann ebenso ein Grund sein, ein Storage anzumieten, wie ein biografischer Einschnitt: ein scheidungsbedingter Umzug in eine kleinere Wohnung etwa, in der man nicht das gesamte Hab und Gut verstauen kann; eine kurzfristige Wohnungsräumung nach dem Tod der Eltern (noch nie wurden so viele Gegenstände vererbt wie von der ersten Generation, die den Wohlstand nach 1945 voll miterlebt hat); eine „doppelte Wohnungseinrichtung“ beim Zusammenziehen mit einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin. In all diesen Fällen landen Dinge im Storage, weil es keinen Platz für sie in der Wohnung gibt, man sich aber auch (noch) nicht endgültig von ihnen trennen will.

(Abstell-)Raum wird knapp und teuer in der Stadt

Selfstorage ist damit mit einem weiteren zentralen Stadtthema verbunden: der Wohnraumentwicklung. Seit Mitte der 2000er Jahre wächst die Wiener Bevölkerung rasant, das Wohnungsangebot konnte mit dieser Entwicklung jedoch nicht Schritt halten. Das erhöhte die Preise für Miet- und Eigentumswohnungen ebenso wie die Finanzkrise 2007/08, die viele InvestorInnen auf den Immobilienmarkt ausweichen ließ. Die Preise für Hauptmietwohnungen sind in Wien bei privaten Neuvermietungen zwischen 2005 und 2017 um 43,3 Prozent gestiegen, die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen seit dem Jahr 2000 um 120 Prozent. Erstmals seit 50 Jahren kontinuierlichen Wachstums sinkt seit 2011 die durchschnittliche Wohnnutzfläche pro Person in Wien wieder leicht. Wie in anderen Städten sind auch hier die klassischen „Dingräume“ (Petra Beck) im Rückzug begriffen: Dachböden werden zu Wohnungen ausgebaut, Keller bei Neubauten oft genauso wenig eingeplant wie Abstellräume in den effizient geschnittenen „Smart-Wohnungen“. Fazit: Der Platz wird knapper und immer teurer. Bevor man sich eine größere Wohnung leistet, weicht man beim Verstauen kurz- oder langfristig lieber auf Selfstorage-Abteile aus, selbst wenn diese durchaus ihren Preis haben.

Wie gehen wir mit der Flut der Dinge um?

Selfstorage ist ein Phänomen, das zugleich auch mit der wachsenden Zahl der Dinge zu tun hat, die uns umgeben. Schätzungen gehen davon aus, dass Menschen in der westlichen Welt heute durchschnittlich rund 10.000 Gegenstände besitzen. Manch einer fühlt sich von dem immer mehr werdenden „Zeug“ mittlerweile überfordert und „bedrängt“. Es ist kein Zufall, dass gerade in jüngster Zeit „Decluttering“, d.h. das Entrümpeln und Sich-Befreien von Dingen, zum Lifestyle-Trend geworden ist — und dass Selfstorage mitunter auch genützt wird, um sich Freiraum in der eigenen Wohnung zu verschaffen.

Die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“ wirft einen konzentrierten Blick auf unseren Umgang mit den den Gegenständen. Oft sind es Dinge von geringem materiellen Wert, die im Selfstorage landen: Fahrräder und Möbel, Zeitschriften und Bücher, Kleidung und Geschirr, Fotoalben und altes Kinderspielzeug. Gerade bei einer langfristigen Nutzung von Selfstorage übersteigen die Mietkosten oft den pekuniären Wert der darin gelagerten Sachen. Doch unser Verhältnis zu den Dingen ist, wie auch die Ethnologin Petra Beck betont, alles andere als sachlich. Mit manchen verbinden wir persönliche Erinnerungen, andere heben wir „für später“ auf, denn „das kann man noch brauchen“. Insofern steckt in der Selfstorage-Nutzung stets auch ein utopisches Moment: Man hebt Dinge auf, weil man an ihre zukünftige Verwendung in einer anderen Lebenssituation oder in einer größeren Wohnung glaubt. Das Zwischenlager verschafft nicht nur Platz, sondern auch Zeit, um die Entscheidung über den endgültigen Verbleib von Dingen nicht gleich treffen zu müssen.

Selfstorage-MieterInnen im Porträt

Das Herzstück der Ausstellung und des Begleitbuches bilden Porträts von sechs Personen, die auf sehr unterschiedliche Art Selfstorage-Angebote nutzen oder in jüngster Zeit genutzt haben. Ausgewählte Objekte aus ihren Abteilen und Videoporträts erlauben einen sehr privaten Einblick in Familiengeschichten, persönliche Biografien und Lebensstile, erzählen von Berufskarrieren und privaten Schicksalsschlägen, zeugen von Sammelleidenschaft und von der Hoffnung auf neue Wohn- und Lebenssituationen, in denen man die Dinge wieder nutzen kann. Florian Franke-Petsch lagerte bis vor kurzem eine riesige Arbeitsbibliothek und seine Sammlung von DDR-Alltagsgegenständen in einem Selfstorage aus; Renata Marie Werdung hat sich ihr Abteil als begehbaren Kleiderschrank für ihre Abend- und Opernballgarderobe eingerichtet; Frau M. nutzt ihr Depot u.a. für alte Möbel und das Archiv ihrer Familie, die 1945 aus der Tschechoslowakei vertrieben wurde; der Modedesignerin Christiane Gruber bot Selfstorage die Möglichkeit, sich vor einer beruflichen Neupositionierung eine Nachdenkpause zu verschaffen; der Avantgarde-Komponist Georg Graewe verstaut in einem kleinen Abteil fast seinen gesamten persönlichen Besitz, weil er beruflich flexibel sein möchte und aus Überzeugung ein Leben mit leichtem Gepäck forciert; Herr B. wiederum nutzt ein „Social Selfstorage“-Angebot der Caritas, weil er aufgrund von aktueller Wohnungslosigkeit seine letzten Besitztümer nirgendwo anders lagern könnte.

Die Porträts bieten ein Kaleidoskop urbaner Lebenspraxis und offenbaren einen höchst bewussten, individuell sehr unterschiedlichen Umgang mit den Dingen. Ergänzt werden sie von großformatigen Infografiken zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Phänomens Selfstorage. Eine interaktive Station erlaubt es den BesucherInnen, zu deponieren, für welche Dinge sie selbst mehr Platz brauchen würden. Ein eigener Ausstellungsbereich widmet sich auch dem „Projektionsraum“ Selfstorage. Die Ungewissheit, was sich hinter den abgeschlossenen Türen von SelfstorageAbteilen verbergen mag, befördert nicht zuletzt die Fantasien von FilmemacherInnen. Sie inszenieren, wie zahlreiche Filmausschnitte zeigen, das Mietlager wechselweise als Ort des Schreckens, als Ort überraschender Funde oder als Zufluchtsort. Oder manchmal einfach nur als Ort, der hilft, das eigene Leben „in Ordnung“ zu bringen.

Begleitbuch im Verlag Park Books

Zur Ausstellung erscheint ein 160-seitiges Begleitbuch bei Park Books, das neben zahlreichen Fotografien von Klaus Pichler und sechs Porträts von Storage-NutzerInnen vertiefende Texte zu verschiedenen Aspekten des Themas enthält: Petra Beck analysiert Selfstorages als „Sammlungsorte des Selbst“ und beschreibt deren innere Organisation und Atmosphäre; Justin Kadi widmet sich dem Stauraum in Zeiten der Wohnungskrise; Maik Novotny setzt sich mit der Architektur der neuen Mietlager kritisch auseinander; Angelika Psenner analysiert, wie sich Selfstorages im urbanen Erdgeschoß auf den öffentlichen Raum auswirken; Martina Nußbaumer beschreibt das Selfstorage als Schauplatz im Kino und Fernsehen; Klaus Pichler erzählt vom „Kopfkino“, das bei seinen fotografischen Erkundungstouren ablief; Peter Stuiber verknüpft das Thema Selfstorage mit dem Lifestyle-Trend „Decluttering“.

Wo Dinge wohnen. Das Phänomen Selfstorage.
Do, 14.02.2019 bis So, 07.04.2019