Wirtschaftsraum Bodensee im Mittelalter

Der Bodensee war im Mittelalter zentrale Drehschreibe eines eng verflochtenen Wirtschafts- und Lebensraumes. Handelsstädte schmiedeten Währungsunionen, eine vorindustrielle Arbeitsteilung und Spezialisierung bildete sich heraus, und die Kreuzzüge erschlossen den Textil-Fernhandel bis auf die Krim, nach Nordafrika und ins östliche Mittelmeer.

Die Ausstellung knüpft an eine Reihe von archäologischen Wanderausstellungen zu den Pfahlbauern, Kelten, Römern und Alamannen an, die das HVM in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Beim Stichwort "mittelalterliche Ostschweiz" wird meist an Klöster und Burgen, an Dörfer und eine bescheidene landwirtschaftliche Existenzgrundlage gedacht. Wirtschaftsräume kommen da weniger in den Sinn. In der Schau wird jedoch gezeigt, wie sich die weiträumig gefasste Bodenseeregion ab dem 12. Jahrhundert rasch zu einem hochkomplexen und florierenden Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten entwickelte. Über die Kreuzzüge wurde ein lukrativer Fernhandel bis ins östliche Mittelmeer, nach Nordafrika und auf die Krim erschlossen. Die begehrten Leinentextilien fanden reissenden Absatz, die Städte am See profitierten ebenso wie die zuliefernden Landregionen. Im Gegensatz zu heute trennte der Bodensee die Menschen nicht; er verband sie miteinander, zu einer eng verflochtenen Wirtschafts- und Lebenswelt. Städte bildeten Bündnisse, man einigte sich teilweise auf ein einheitliches Währungssystem und betrieb Landwirtschaft, Handwerk, Bergbau und Handel mit weit entfernten Gebieten.

Ein Fokus der Ausstellung liegt in der Präsentation der landwirtschaftlich geprägte mittelalterliche Lebenswelt der Region. Die Materialität dieser Agrargesellschaft war sehr naturnah. So waren z.B. tierische Materialien wie Leder und Knochen viel wichtiger als heute, und Holz war die Zentralressource als Werkstoff, Baumaterial und Energieträger. Die mittelalterliche Welt am Bodensee hatte damit auch ein ganz anderes Alltagstempo als unsere heutige und bezog einen Grossteil ihrer Nahrungsmittel und Rohstoffe aus der Region. Parallel zum beschriebenen Wirtschafts- und Lebensraum bildete sich allerdings auch eine regionale Spezialisierung heraus. Das Rheintal konzentrierte sich z.B. auf den Weinbau, das St.Galler Fürstenland und der Thurgau setzten auf den Getreidebau. In der Textilproduktion entstand gar eine Arbeitsteilung, die vorindustrielle Züge hatte, vor allem mit dem Veredeln der Textilien.

Zu sehen sind zahlreiche archäologische Fundstücke aus der ganzen Region, von den Bündner Alpentälern bis nach Süddeutschland und an den Rheinfall. Sie stammen aus der Zeit von etwa 1000 bis 1500 und erzählen von Landwirtschaft, Handwerk und Handel, Schifffahrt und Alltag. Die Auswahl reicht vom Holzfass bis zum Münzschatz, vom Kinderschuh bis zum Altglas-Depot. Sie zeigen nicht das bekannte Mittelalter mit Ritterrüstungen, Hellebarden oder Altarbildern. Es ist ein Mittelalter ausgegraben aus dem Erdboden, geborgen vom Seegrund.

Die Wanderausstellung ist ein gemeinsames Projekt von Museen und archäologischen Diensten aus den vier Ländern der Bodenseeregion. Der Start erfolgt in St.Gallen.

Mittelalter am Bodensee – Wirtschaftsraum zwischen Alpen und Rheinfall
2. Oktober 2021 bis 23. Januar 2022