Das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien hat nach einer sanierungsbedingten Schließzeit mit der Ausstellung "Avant-Garde and Liberation. Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne" wieder eröffnet.
Die Ausstellung Avant-Garde and Liberation beleuchtet die Bedeutung der globalen Moderne für die Gegenwartskunst. Sie stellt Fragen nach den politischen Umständen, die zeitgenössische Künstler:innen zum Rückgriff auf jene außereuropäischen Avantgarden bewegen, die sich in den 1920er- bis 1970er- Jahren gegenüber der dominanten westlichen Moderne formiert haben. Welche Potenziale sehen Künstler:innen in der Anknüpfung an dekoloniale Avantgarden in Afrika, Asien und im Raum des "Black Atlantic", um gegen aktuelle Formen von Rassismus, Fundamentalismus oder Neokolonialismus aufzutreten? Und welche künstlerischen Verfahren kommen zum Einsatz, wenn Bedrohungen der persönlichen Freiheit und des sozialen Zusammenhalts mit Rückgriff auf wegweisende antikoloniale und antirassistische Positionen des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts thematisiert werden?
Konzipiert wurde die Ausstellung von Christian Kravagna, Professor für Postcolonial Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien, der für das mumok bereits in den vergangenen Jahren beratend und kuratorisch tätig war.
Die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisenphänomenen über eine Bezugnahme auf künstlerische, literarische und aktivistische Avantgarden des 20. Jahrhunderts findet sich in diversen Regionen und kulturellen Kontexten: In Reaktion auf den Rassismus und die Tötung Schwarzer Menschen durch die Polizei in den USA erinnern afroamerikanische Künstler:innen wie Fahamu Pecou und Cauleen Smith an emanzipatorische Ausdrucksformen, die im Zuge der Bürgerrechtsbewegungen entstanden sind. Sie verweisen dabei auf die Harlem Renaissance der 1920er-Jahre als erster Manifestation Schwarzer Moderne oder auf das aktivistisch-ästhetische Vermächtnis einer revolutionären Bewegung wie Black Power in den 1960er-Jahren.
Angesichts neokolonialer Ökonomien beziehen sich afrikanische Künstler:innen auf Fotograf:innen und aktivistische Musiker:innen, deren Werke für die Befreiung afrikanischer Gesellschaften in der Nachkriegszeit stehen. Serge Attukwei Clottey und Moffat Takadiwa seien hier als Beispiele genannt.
Nordafrikanische Künstler:innen wie Yto Barrada und Mohamed Bourouissa zitieren Pionier:innen der arabischen Moderne der 1950er- und 1960er-Jahre oder aktualisieren das Denken von antikolonialen Autor:innen wie Frantz Fanon. In den von Migrationskrisen und Neofaschismen gezeichneten Gesellschaften Europas rekonstruieren unter anderem die Künstler:innen Mathieu Kleyebe Abonnenc und Patricia Kaersenhout antikoloniale Filmästhetiken und feministische Beiträge zur Négritude-Bewegung.
Indische Künstler:innen, etwa Atul Dodiya und Vivan Sundaram, reagieren auf die hindu-nationalistische Aushöhlung der säkularen Demokratie mit einem Rekurs auf die kosmopolitischen Projekte eines Rabindranath Tagore oder die Kunst des Bildhauers Ramkinkar Baij aus der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung. Mit zahlreichen Werken von mehr als 24 Künstler:innen aus Südasien, Afrika, Europa und Amerika öffnet Avant-Garde and Liberation einen Blick auf globale Modernismen durch das Prisma ihrer Brisanz für die Kunst der Gegenwart. Die Ausstellung reflektiert in der komplexen Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit über Fragen der Zeitlichkeit sowie über Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit alten und neuen Befreiungsbewegungen. Schließlich ermöglicht das weltweite Netz historischer Referenzen eine notwendige Revision des Avantgarde-Begriffs, der immer noch von seiner europäischen Interpretation dominiert ist. Neben ihrer politischen Dimension versteht sich die Ausstellung auch als Hommage an jene zeitgenössischen Künstler:innen, die an marginalisierte Avantgarden jenseits der eurozentrischen Vorstellung von moderner Kunst erinnern.
Avant-Garde and Liberation
Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne
7. Juni bis 22. September 2024