Wem gehört die Stadt?

Seit etwa zwölf Jahren ist ein verstärktes Interesse der Geschichts- und Sozialwissenschaften an einer quellenkundlichen Aufarbeitung der 1970erJahre in der Bundesrepublik Deutschland feststellbar. Dabei fällt auf, dass sich das Augenmerk der Forschung auch auf Aspekte des Alltagslebens richtet, die in den Untersuchungen zu vorangegangenen Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der sich in Alltagsphänomenen spiegelnde Wandel von gesellschaftlichen und politischen Verkehrsformen wird als Einforderung von radikalen Veränderungen und stetiger Durchsetzung umfassender Reformen "von unten" beschrieben.

Diese wiesen inhaltlich weit über das Maß der gesetzgeberisch gewährten Liberalisierung von individuellen Spielräumen und öffentlicher Mitbestimmung hinaus. Das von der sozialliberalen Regierung entworfene Phantombild des "mündigen Bürgers" gewann umso mehr an Profil, wie der als "von oben" steuerbar gedachte gesellschaftliche Aufbruch durch die Wirtschaftskrise 1973/74 ins Stocken geriet und das schon früh als Korrektiv für soziale Unruhen angelegte Modell der "Inneren Sicherheit" die Oberhand erhielt. Die Ausstellung bricht diese Makrophänomene des Jahrzehnts herunter auf anschaulich beschreibbare Manifestationen neuer sozialer Bewegungen in München. Damit eröffnet sie zugleich die Perspektive auf Auseinandersetzungen um die Entwicklung der Stadt als kollektiver Lebensraum und Experimentierfeld für noch nicht erprobte Entwürfe neuartiger gesellschaftlicher Organisationsformen.

In allen dargestellten Phänomenen spielt die Frage nach dem freien Umgang mit urbanen Lebensräumen eine hervorgehobene Rolle – auf der Suche nach Teilhabe und Entwicklung, Selbstbestimmung und Basisdemokratie. Vorgestellt werden in den 1970er Jahren entwickelte alternative Modelle zur Metropole als Objekt rein ökonomisch gelenkter Betrachtungsweisen und Interessen. Den thematischen Zugang vermittelt ein gewollt fragmentarisch ausgestatteter, jedoch räumlich verdichteter Blick auf die Außerparlamentarischen Opposition (APO) der 1960er Jahre und die von ihr entwickelten antiautoritären Bewegungsformen und -inhalte. Die Ausstellung verfolgt den davon ausgehenden, mobilisierenden Impuls als Selbstermächtigung von Einzelnen und Gruppen zum emanzipatorischen Handeln:

Zur Ausstellung wurden zirka 650 Leihgaben aus Münchner Archiven und aus Privatbesitz erbeten. Erstmalig konnte dabei das sogenannte Archiv 451 (auch Trikont-Archiv genannt), das 2011 als Schenkung in den Besitz des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung gelangte, umfangreich ausgewertet werden. Im Verlauf der Recherchen gelangten zahlreiche Schenkungen an das Münchner Stadtmuseum. Stellvertretend seien hier genannt eine komplette Ausgabe der legendären Stadtzeitung "Blatt" (273 Hefte aus dem Zeitraum 1973 bis 1984) und Einrichtungsgegenstände aus einer Münchner Wohngemeinschaft um 1979. An den Aktionsraum 1 von 1969/70 als Ort der Avantgardekunst kann erstmalig in München mit Plakaten und Fotos erinnert werden.

Wem gehört die Stadt?
Manifestationen neuer sozialer Bewegungen im München der 1970er Jahre
Eine Ausstellung des Münchner Stadtmuseums in Kooperation mit dem Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
22. Februar bis 1. September 2013