Weltwirtschaftskrise und argentinische Militärdiktatur

Mit dem Wirtschaftsthriller "Margin Call" und dem Drama "El Premio", in dem Paul Markovitch semiauautobiographisch ihre Erinnerungen an die argentinische Militärdiktatur verarbeitet, startete bei der 61. Berlinale der Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären. Und der Fall von Jeff Nichols´"Take Shelter" zeigt, mit welchen Problemen das Festival zu kämpfen hat.

Unter den Filmen des Internationalen Forums des Jungen Films gehörte aufgrund des meisterhaften Debüts "Shotgun Stories" Jeff Nichols´ zweiter Film wohl zu den am meisten erwarteten. "Take Shelter" heißt er, lief beim Sundance-Festival und wurde im Januar im Programm des Forums angekündigt – findet sich nun aber nicht im Programmheft. Nicht nur Cannes schnappt sich die großen Namen weg, manchmal mischen auch noch Verleiher mit. Sony hat sich die Rechte von "Take Shelter" gesichert und will nicht, dass der Film in Berlin läuft. – Und die Berlinale ist um einen potentiellen Höhepunkt ärmer.

Den boten auch die ersten Wettbewerbsfilme nicht wirklich. Sehr solide gemacht ist zwar JC Chandors "Margin Call", doch letztlich fehlt diesem Wirtschaftsthriller, das Fleisch um das starke Skelett. Chandor schildert, wie unmittelbar vor Ausbruch der Wirtschaftskrise eine New Yorker Investmentbank das Schreckensszenario erkennt und den eigenen Kopf zu retten versucht, indem alle Wertpapiere innerhalb weniger Stunden abgestoßen werden sollen.

Ganz auf einen Tag konzentriert sich Chandor und verlässt kaum einmal das Bankgebäude. Visuell bietet das zwar recht wenig, doch diese Beschränkung verleiht dem Film Geschlossenheit und Dichte. In den Dialogen, die dieses Kammerspiel bestimmen und tragen, erhält man einen Einblick in die Mechanismen der Bankgeschäfte und die Hektik am Tag vor der Krise, ohne dass der Zuschauer mit Fakten überfordert würde.

Mit Kevin Spacey, Paul Bettany und Jeremy Irons, der als Oberboss groß aufspielt, aber auch lustvoll überspielt, ist das auch glänzend besetzt, doch bleiben die Figuren letztlich Funktionsträger und werden eben nicht zu Menschen aus Fleisch und Blut.

Keine Konturen gewinnen sie, da man nichts über ihr Privatleben erfährt, und so folgt man ihnen auch so kühl wie Chandor auf das Bankwesen blickt. Das Nüchterne kann man durchaus auch positiv sehen, aber Emotionen kommen damit eben auch nicht auf und nur in wenigen Momenten verlässt Chandor die sachlich realistische Ebene und wagt sich vor zu bissiger Satire, als die der Film wohl mehr Durchschlagskraft entwickeln hätte können. So bleibt es bei einer aufschlussreichen, aber doch auch ziemlich blutleeren Lehrstunde in Sachen Genese der Wirtschaftskrise.

Paula Markovitchs "El premio" hat dagegen wohl vor allem der Umstand, dass dieser Film vom Berlinale World Cinema Fond koproduziert wurde, in den Wettbewerb gebracht. Mit der Drehbuchmitarbeit an Fernando Eimbckes "Temporada de patos" und "Lake Tahoe" hat die Argentinierin Beachtliches aufzuweisen, ihr Regiedebüt überzeugt dagegen kaum. Das liegt weniger daran, dass es seit Luis Puenzos "La historia oficial" vor über 25 Jahren schon zahlreiche filmische Auseinandersetzungen mit der argentinischen Militärdiktatur gab, sondern hängt eher damit zusammen, dass Markovitchs Geschichte letztlich sehr dünn bleibt.

Wolkenverhangen ist zwar immer der Himmel und rau das Klima am Küstenstreifen, an dem "El premio" spielt, aber wirklich spürbar wird die Beklemmung durch die Diktatur auch in den tristen Grau- und Brauntönen der Bilder kaum, sondern bleibt Behauptung. Zäh und wortkarg zieht sich die Geschichte um eine Mutter, die mit ihrer siebenjährigen Tochter Cecilia – Marovitchs Alter Ego – in diese abgeschiedene Region geflohen ist, dahin.

Die wahre Identität muss das Mädchen in der Schule verheimlichen, schreibt sich in einem Aufsatz dann aber doch ihre Ablehnung des Militärs vom Leib, sodass schon die Verhaftung von Tochter und Mutter droht.

Ganz aus der Perspektive Cecilias ist das inszeniert, bietet auch Einblicke in die Auswirkungen der Diktatur auf Kinder, auf Überwachung und Bespitzelung durch das Schulwesen, auf die Unsicherheit und Konflikte, die die gegenteiligen Positionen von Mutter und Schule bei der kleinen Cecilia auslösen. Packend könnte das sein, bleibt aber trotz einer großartigen Verkörperung der kleinen Cecilia durch Paula Galinelli Hertzog so farblos und dröge wie die frostige Meereskulisse.