"The Weimar Touch" - Der Einfluss des Weimarer Kinos auf das Weltkino

Unter dem Titel "The Weimar Touch" widmet sich die Retrospektive der heurigen Berlinale den Einflüssen des Weimarer Kinos auf das internationale Filmschaffen nach 1933. Im Mittelpunkt stehen dabei Filme deutschsprachiger Emigranten.

Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte mit dem Sturz der Monarchien in Deutschland und Österreich-Ungarn und der damit verbundenen Demokratisierung der Gesellschaft bisher ungeahnte individuelle Freiheiten. Dies wirkte sich auf die Künste und das Filmschaffen aus.

Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA war der Film in den 1920er Jahren von großer Freiheit gekennzeichnet, die in den USA durch die Einführung des Hays-Codes 1934 und in Deutschland wesentlich dramatischer und weitreichender durch die nationalsozialistische Machtergreifung am 30. Januar 1933 beendet wurde.

Die Weimarer Republik mag eine "Demokratie ohne Demokraten" gewesen sein, mit den im Versailler Vertrag auferlegten Reparationszahlungen eine schwere Last getragen haben und von Attentaten und Umsturzversuchen von Rechts und Links erschüttert worden sein, dennoch erlebte die Filmkunst in dieser Zeit eine seltene Blüte.

Vom expressionistischen Film, in dem sich die düstere Stimmung der Nachkriegszeit spiegelte, bis zur neuen Sachlichkeit spannte sich der Bogen. Realistische Gesellschaftsdramen von G. W. Pabst entstanden ebenso wie Ernst Lubitschs Komödien und Ausstattungsfilme. Ernst Lamprecht schilderte in seiner Sozial-Trilogie ("Die Verrufenen", 1925; "Die Unehelichen", 1926; "Menschen untereinander", 1926) mit teilweise quasidokumentarischem Gestus dicht das Milieu der Berliner Unterschicht und Fritz Langs "Metropolis" (1927) wurde zum Vorbild für zahlreiche spätere Science-Fiction-Filme.

Unübersehbar ist speziell der Einfluss des expressionistischen Films mit seinen Licht-Schattenspielen auf den amerikanischen Film noir, zu dem auch zahlreiche deutsche Emigranten zentrale Filme beisteuerten. Doch auch in anderen Bereichen wirkte das Weimarer Kino fort. Was wäre Hollywood ohne die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme emigrierten Filmschaffenden?

Nicht nur Billy Wilder, Otto Preminger, Max Ophüls und Fritz Lang verließen in diesen Jahren Deutschland, sondern mehr als 2000 Filmschaffende vor allem jüdischer Herkunft. Waren in den 1930er Jahren ihre Ziele teilweise noch Frankreich oder die Niederlande, so bot nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nur noch die Flucht aus Europa Sicherheit.

Nur ein Bruchteil der Emigranten konnte aber im amerikanischen Exil im Filmgeschäft Fuß fassen. Die fremde Sprache stellte speziell für Drehbuchautoren und SchauspielerInnen eine Barriere dar, leichter taten sich Komponisten, Kameramänner oder Regisseure.

Die 33 Filme umfassende Retrospektive der Berlinale, die die Deutsche Kinemathek unter der Leitung von Rainer Rother zusammen mit dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) kuratiert, nähert sich in fünf Kapiteln dem Thema und will den Blick ebenso auf Klassiker wie auf neu zu entdeckende Filme lenken.

Unter dem Titel "Rhythm and Laughter" werden Filme gezeigt, die an die von jüdischen Filmschaffenden geprägten Genres Tonfilmoperette, Musikfilm und Filmkomödie anschließen. Neben dem erst jüngst restaurierten "Komedie om Geld", den Max Ophüls 1936 in den Niederlanden drehte, findet sich hier auch Billy Wilders "Some Like It Hot" (1959), der an den subversiven Humor und die frivole Travestie des Weimarer Kinos anknüpft. Eine Rarität ist dagegen die sozialkritische Komödie "Peter", die der Berliner Hermann Kosterlitz 1934 in Budapest drehte. 1936 verließ Kosterlitz Europa in Richtung Hollywood und machte dort als Henry Koster Karriere.

Unter der Überschrift ""Unheimlich" – The Dark Side" werden nicht nur zentrale Werke des amerikanischen Film noir gezeigt, sondern auch Filme, die noch in Europa entstanden, aber schon auf den Film noir vorausweisen. So drehte Robert Siodmak, der später ein Spezialist für den Film noir wurde ("Criss Cross", "The Spiral Staircase"), schon 1939 im Pariser Exil mit "Pièges" ("Der Fallensteller") ein atmosphärisch dichtes Krimidrama um einen Serienmörder.

Im Kapitel "Light and Shadow" wiederum wird beispielsweise dem Einfluss von F.W. Murnaus Arbeit mit dem Licht auf amerikanische Filme wie John Fords "How Green Was My Valley" (1941) nachgespürt.

Die Rubrik „Variations“ widmet sich Remakes oder Variationen von Filmen der Weimarer Republik. So wurde Joseph Loseys amerikanisches Remake (1951) von Fritz Langs legendären Krimi "M" (1931) wie das Original von Seymour Nebenzal produziert. Gleich mehrere Neuverfilmungen erlebte Reinhold Schünzels 1933 gedrehte Komödie "Viktor und Viktoria". Am bekanntesten ist wohl die Version von Blake Edwards aus dem Jahre 1982, das erste Remake drehte aber schon Victor Saville 1935 in England unter dem Titel "First a Girl".

"Know Your Enemy" stellt schließlich Filme vor, die gegen das NS-Regime Position beziehen. Lubitschs Klassiker "To Be or Not to Be" (1942) darf hier freilich ebenso wenig fehlen wie Fritz Langs "Hangmen Also Die!" (1943) sowie der fast ausschließlich mit europäischen Schauspielern besetzte und vom 1919 aus Ungarn nach Wien und von dort 1926 in die USA emigrierten Michael Curtiz gedrehte "Casablanca" (1942). Aber auch zu diesem Thema findet sich mit "Ergens in Nederland. Een film uit de Mobilisatietijd", den Ludwig Berger 1940 in den Niederlanden drehte, ein weitgehend unbekannter Film.