Walter Bosshard (1892–1975) ist der erste Schweizer Fotojournalist, der mit seinen Reportagen international berühmt wurde. Schon um 1930 erreichten seine Bildberichte ein Millionenpublikum. Ab 1931 konzentrierte sich Bosshard auf China: Fotografierend und schreibend verfolgte er den verheerenden Krieg mit Japan und den Machtkampf zwischen Nationalisten und Kommunisten, er widmete sich aber auch dem Alltag und dem Leben auf der Strasse.
Den Grundstein für seine Karriere legte Walter Bosshard 1927/28 als Fotograf der Deutschen Zentralasien-Expedition, die ihn in den Himalaya und die Taklamakan-Wüste führte. Mit Bildern und Texten von dieser Reise etablierte er sich als Fotojournalist. Schon 1930 erhielt er von der Münchner Illustrierten Presse und der damals führenden Berliner Fotografenagentur Dephot einen grossen Auftrag: Während rund acht Monaten konnte er Indien bereisen, um über die Unabhängigkeitsbewegung zu berichten. Dabei gelangen ihm einige sensationelle Gandhi-Porträts, die um die Welt gingen. 1933 verlegte Bosshard seinen Wohnsitz nach Beijing und wurde zu einem der produktivsten und angesehensten Asien-Korrespondenten seiner Zeit. Seine wichtigsten Plattformen waren die Berliner Illustrirte Zeitung und weitere Medien des Ullstein-Verlags, die Münchner Illustrierte Presse und die Zürcher Illustrierte. Später kamen amerikanische und englische Medien wie Life und Picture Post dazu, bevor er schliesslich eine feste Stelle als Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung annahm.
Der Beginn von Bosshards regelmässiger Tätigkeit als «Sonderberichterstatter» in China fällt ins Jahr 1931. Die Eröffnung der ersten chinesischen Nationalversammlung, der Einmarsch der Japaner sowie der Machtkampf zwischen Nationalisten und Kommunisten boten spannenden Stoff für die internationalen Medien. Wie kaum ein anderer Reporter verfolgte Bosshard die weitere Entwicklung des sino-japanischen Kriegs aus der Nähe: Er fotografierte an der Front und leistete engagierte Aufklärungsarbeit, er porträtierte aber auch die wichtigsten Politiker, Generäle und Warlords sowohl auf japanischer als auch auf chinesischer Seite. Er gehörte zu den ersten, die über die 1937 gestartete Grossoffensive der Japaner berichteten, bei der sie nacheinander die grossen Städte Beijing, Tianjin und Shanghai besetzten, um schliesslich am 13. Dezember die Hauptstadt Nanjing zu erobern. Hier richteten sie während rund sieben Wochen eines der grössten und grausamsten Massaker der Geschichte an, bei dem schätzungsweise über 200"000 Zivilisten umgebracht wurden. Die japanische Invasion löste Migrationsbewegungen aus, welche die soziale, kulturelle und ökonomische Landschaft tiefgreifend veränderten: Zwischen 1937 und 1945 waren gegen 100 Millionen Chinesinnen und Chinesen in ihrem eigenen Land auf der Flucht, die vermutlich bisher höchste Zahl Vertriebener weltweit.
Mit der gekonnten Verbindung von Wort und Bild war Walter Bosshard aber nicht nur ein gefragter Augenzeuge dieses langen Kriegs. Ebenso viel Aufmerksamkeit erlangte er mit Berichten vom chinesischen Alltag und vom Leben in den Strassen. Er war ein grosser Reisender, der nie genug davon bekam, neue und unbekannte Gegenden zu erforschen und auf abenteuerlichen Flussfahrten in die entferntesten Gegenden Chinas zu gelangen. Während Monaten lebte er mit den Nomaden der Inneren Mongolei und erhielt einen tiefen Einblick in ihre reichhaltige Kultur. Das «Achthügelland» gehörte für Bosshard zu den geliebten Rückzugsgebieten, in denen er sich immer wieder vom hektischen Leben an der Front erholte. Seine Faszination fand ihren Ausdruck in Bildern von einer traumhaften Landschaft, aber auch in ausdrucksstarken Reportagen über die einfache Lebensweise eines naturverbundenen Volks, das durch den Krieg und das Vordringen der Zivilisation dem Untergang geweiht war.
Ein Schlüsseljahr in Bosshards fotojournalistischer Karriere war das Jahr 1938. Wie andere westliche Korrespondenten hielt er sich in der temporären chinesischen Hauptstadt Hankou auf, die monatelang heftigsten japanischen Bombardierungen ausgeliefert war. Hankou war zweifellos der mediale Hotspot jener Zeit; Nacht für Nacht stiegen die Korrespondenten auf das Dach der lutherischen Mission, um die spektakulären Luftkämpfe zwischen japanischen und chinesischen Fliegern mitzuverfolgen oder Chinas Chancen im verzweifelten Widerstand gegen die vorrückenden Feinde zu diskutieren. Zu den Beobachtern gehörte auch der schon damals berühmte Fotograf Robert Capa, der mit einem Filmteam im Gefolge des bekannten Dokumentarfilmers Joris Ivens nach China gekommen war.
Er hatte den Job als zweiter Kameramann für Ivens" Film «The Four Hundred Million» angenommen, weil er sich erhoffte, zwischendurch als Reporter auch eigene Geschichten fotografieren zu können. Besonderes Interesse hatte er am Widerstandskampf der Kommunisten gegen die nationalistische Kuomintang-Regierung. Er sah darin eine fernöstliche Erweiterung der antifaschistischen Bewegung, die er schon im spanischen Bürgerkrieg aus nächster Nähe verfolgt hatte. Allerdings wurde das Filmteam von den Nationalisten so streng überwacht, dass es Capa fast unmöglich war, sich frei zu bewegen. Dennoch gelangen ihm einige erschütternde Reportagen: über die permanenten Luftangriffe, die Angst der Zivilbevölkerung, die chinesischen Flüchtlingsströme oder den täglichen Kampf ums Überleben. In Hankou entwickelte Robert Capa auch eine freundschaftliche Beziehung und spielerische Rivalität zu Walter Bosshard – beide hatten sie den Ehrgeiz, ihre Geschichten in der renommierten amerikanischen Zeitschrift Life veröffentlicht zu sehen.
1938 wetteiferten die beiden Fotojournalisten um die erste Reportage aus der weit abgelegenen «Roten Hauptstadt» Yan"an, wo die Kommunisten unter Mao Zedong ihre Kräfte sammelten und sich für den Guerilla-Kampf gegen die Japaner rüsteten. Die westlichen Medien waren begierig auf Neuigkeiten aus Maos Lager, denn zu dieser Zeit war es noch völlig unklar, welche Rolle die kommunistische Bewegung für die Zukunft Chinas spielen sollte. Tatsächlich fand Walter Bosshard im Juli 1938 als erster europäischer Korrespondent den Weg zu Mao – zusammen mit dem befreundeten China-Korrespondenten der Chicago Daily News, Archibald Steele. Neben einem ausführlichen Interview mit dem Vordenker des Neuen China drehte Bosshard auch einen Film mit den vermutlich frühesten Bewegtbildern von Mao und fotografierte den Alltag der Kommunisten, die sich in den Lösshöhlen von Yan"an organisiert hatten. Life publizierte das Resultat in einer teilweise farbigen Reportage, während die Neue Zürcher Zeitung den sensationellen Stoff im Juli und August 1938 in einer sechsteiligen Serie jeweils aufihrer Frontseite präsentierte. Nach diesem Coup gab sich Robert Capa geschlagen und kehrte frustriert nach Hause zurück.
Bosshards Yan"an-Film war nur einer von zahlreichen dokumentarischen Filmen, mit denen er die politische Berichterstattung dynamisierte. Dabei blieb er nahe bei seinen fotografischen Reportagen, in denen er seine Themen in gut erzählte Geschichten verpackte. Das Credo der dokumentarischen Fotografie, wonach Eingriffe in die fotografierte Szene oder gestellte Aufnahmen ein Sakrileg sind, hatte im Fotojournalismus der dreissiger Jahre noch nicht dasselbe Gewicht wie in der Nachkriegszeit. So war es auch für Bosshard legitim, für die Vermittlung bestimmter Inhalte aktiv Regie zu führen, um seinem Publikum Einblicke in die «wahren» Verhältnisse in China zu geben. Ein Paradebeispiel ist etwa seine Bilderzählung «The Life of a Chinese Guerilla», 1938 fotografiert und 1939 in der englischen Picture Post veröffentlicht: Der Bauer Chang lässt sich freiwillig zum Guerilla-Kämpfer ausbilden und wird im Einsatz gegen die Japaner von einem feindlichen Geschoss schwer verletzt. In 17 Bildern werden die komplexen Zusammenhänge um den Abwehrkampf Chinas und die Überwindung des Bürgerkriegs glaubwürdig erläutert. Die visuelle Dramaturgie gipfelt in einer Aufnahme, die den getroffenen Chang im Fall zeigt – ein fernes Echo auf Robert Capas fallenden republikanischen Milizionär.
Dank grosser Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen und einem exzellenten Netzwerk konnte sich Bosshard immer wieder Vorteile verschaffen, mit denen er schnell und effizient sein Ziel erreichte. 1937 schrieb Archibald Steele über seinen Schweizer Kollegen: «Jeder, der im Fernen Osten mit Kamera und Notizblock unterwegs ist, weiss um die Probleme, denen die Chronisten ausgesetzt sind. Trotz Zensur, behördlichen Hindernissen und sturen Beamten gelingt es Bosshard, dem für Ullstein arbeitenden Fotojournalisten, sein Handwerk auszuüben, ohne es sich mit den Japanern oder den mandschurischen und chinesischen Behörden zu verderben. Man muss auch Diplomat sein, um dieser Tage als Korrespondent und Künstler mit der Kamera erfolgreich zu sein ... Alle hohen Tiere in Asien kennen Bosshard, Diplomaten, Staatsmänner und Militärs, denn er liebt es, sie in ihrem privaten Umfeld zu porträtieren.»
Und David Walker, Korrespondent der britischen Zeitung Daily Mirror, erinnert sich in seinem Buch «Death at My Heels» (1942): «Man hätte sich keinen geeigneteren Reisebegleiter wünschen können als Walter Bosshard. Ein Schweizer der besten und zähesten Sorte, der Karawanen durch Tibet und China und weiss der Himmel wohin geführt hatte. Er konnte Dinge aus dem Nichts hervorzaubern – heissen Kakao, den er scheinbar im Ärmel mit sich trug, oder Biscuits, als ob man sie vom nächsten Baum hätte pflücken können. Nur einen Fehler hatte er: Wenn wir jenen Punkt erreichten, wo Maultiere Angst haben, vorwärts zu gehen, sprang er selbst wie eine Bergziege weiter und kletterte die steilsten Abhänge hoch. Es war verdammt anstrengend.»
Das Jahrzehnt, das Walter Bosshard in China verbrachte, war fraglos die wichtigste Phase in seinem fotojournalistischen Schaffen. Es gibt, international gesehen, nur wenige Fotojournalisten, welche die schwierige Zeit der japanischen Besetzung Chinas so konstant und in so grosser Intensität verfolgten und abbildeten. Für das Publikum im Westen und in der Schweiz war er während Jahren eine Instanz – jedenfalls bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. «Und weisst du, mein lieber Freund, dass dein Ansehen und die Wertschätzung deiner journalistischen Arbeit immer weiter wachsen?», schrieb Zouzou im Sommer 1942 in einem Brief an Bosshard. Zouzou, der Schweizer Öffentlichkeit besser bekannt unter dem Namen Gilberte de Courgenay, freute sich darüber, dass «die Zeitungsverkäufer der NZZ deinen Namen in grossen Lettern auf ihren Hüten oder auf der Brust tragen, um einen Artikel von W.B. anzupreisen, so dass sich die Passanten um die Ausgabe reissen.» Dieser Ruhm verblasste allmählich in der Nachkriegszeit, als sich Bosshard mehr und mehr auf das Schreiben konzentrierte und sich 1953, nach einem Unfall in Korea, ganz aus dem Journalismus zurückzog. Nach seinem Tod 1975 geriet der einstmals berühmte Name ganz in Vergessenheit.
Für die Ausstellung der Fotostiftung Schweiz und das parallel dazu erscheinende Buch «Walter Bosshard – China brennt. Bildberichte 1931–1939» wurden das Negativarchiv der Fotostiftung Schweiz wie auch die umfangreichen Bosshard-Bestände im Archiv für Zeitgeschichte (ETH Zürich) neu ausgewertet. Bei weiteren Recherchen sind viele vermisste Bilder zum Vorschein gekommen, die nun zum ersten Mal veröffentlicht werden. In der Ausstellung werden sie den China-Bildern von Robert Capa gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass Bosshards Reportagen die Zeit gut überdauert haben. Auch heute noch versetzen sie uns mitten ins dramatische Geschehen im Fernen Osten. Bosshards fotojournalistisches Vermächtnis ist eine einzigartige, packende und anschauliche Quelle, um in jenes chinesische Jahrzehnt einzutauchen, das unsere Welt so folgenschwer verändert hat.
Publikation: Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Limmat Verlag: «Walter Bosshard – China brennt. Bildberichte 1931–1939». Herausgegeben von Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz. 290 Seiten, gebunden, etwa 150 Fotografien und Abbildungen.
Walter Bosshard / Robert Capa – Wettlauf um China
22. September 2018 bis 10. Februar 2019
Vernissage: 21. September 2018, 18 Uhr