Vor den Dingen, nach dem Affekt

Famed: Das sind die drei aus Leipzig stammenden Künstler Sebastian M. Kretzschmar (*1978), Kilian Schellbach (*1971) und Jan Thomaneck (*1974). Im Namen des Kollektivs scheint der eigene Nachruhm bereits vorweggenommen. Und so erweisen sich die Künstler als gelehrige Schüler von Andy Warhol, der einmal feststellte, dass im Zeitalter globaler Massenmedien jeder für fünfzehn Minuten Berühmtheit erlangen könne.

Genauso listig wie mit der eigenen Namensgebung geht das Künstlerkollektiv in seinem Schaffen vor und zieht dabei dem Betrachter mit scharfem Witz, aber auch mit konzeptueller Strenge den kunsthistorischen Boden unter den Füssen weg – und zwar stets mit überraschender Leichtigkeit. Die Strategie von Famed zielt "auf die Grundlagen und Grundfragen künstlerischen Tuns: Bedeutungsproduktion, Wirklichkeitsanspruch, Repräsentationsgrad und Warenförmigkeit der Kunst sowie die Gesamtheit ihrer sozialen und politischen Bedingungen werden in den Arbeiten von Famed immer wieder mit der Eigengesetzlichkeit der Kunst und des Betriebssystems Kunst gebrochen. Die Methode ist dabei so komplex wie kurzweilig, so anspruchs- wie humorvoll. Famed zieht den Ausstellungsbesucher hinein in ein präzise verwobenes Netz von Verweisen, Zitaten und Verschiebungen. Der Ausstellungsraum wird zum Denkraum (Thinking Space). Dabei ist es keinesfalls entscheidend, sämtliche eingeschachtelten Verweisebenen aus der Kunst-, Literatur- oder Kulturgeschichte zu entschlüsseln. Es sind eben keine Inszenierungen, die kunstimmanent bleiben, sich ausschliesslich an den Kenner wenden und damit den Laien aussen vor liessen. Vielmehr wird in der künstlerischen Produktion von Famed Denken zum ästhetischen Ereignis, die Kunst zu einer sinnlich organisierten Form des Forschens." (Jörg van den Berg)

Die künstlerischen Eingriffe, Installationen und Videos, mit denen Famed in den vergangenen Jahren an internationalen Grossausstellungen wie 2008 an der Manifesta 7 in Rovereto oder in Einzelausstellungen wie 2010 in der Columbus Art Foundation oder im Museum der bildenden Künste Leipzig prominent hervortraten, sind von geradezu unaufdringlicher Qualität. Man könnte sie zuweilen beinahe übersehen, so wie eine lapidare Fluoreszenzröhre, die in einem Ausstellungsraum einer ehemaligen Industriehalle aus der Deckenfassung auf den Boden gefallen scheint. "Will I Be Missed?" (2007) lautet ihr schalkhafter Titel.

Mit gekonnter Treffsicherheit verbindet Famed einen konzeptuellen Anspruch, der die künstlerischen Traditionen der 1960er und 1970er Jahre sowie die Bedingungen der Präsentation von Kunst überhaupt immer mitdenkt, mit subtilen Transformationen und feiner Ironie. "Good News for People Who Love Bad News" (2004) – so eine wundervolle Videoarbeit, in der die drei Künstler in Waldarbeitermontur vergeblich versuchen, einen Baum zu fällen, d.h. sie schaffen es nicht einmal, die Motorsäge in Betrieb zu setzen. Welch dramatisches Scheitern vor einer romantischen Landschaft mit mächtigem Baum, die einen unmittelbar an die Malerei von Caspar David Friedrich denken lässt. "Oder Empty Until Full" (2006) – die auf die Wand gesprayte Schrift zwischen einem Anführungs- und Schlusszeichen aus Neon. Da verbindet sich das klassische Werbemedium mit der aus dem Underground stammenden Geste des Sprayens. Und beim Sprayen wird just das entleert, was als Schrift auf der Wand erscheint, wie umgekehrt der Raum zwischen Anführungs- und Schlusszeichen mit einem Text angefüllt wird, während sich die Spraydose entleert. Und schon befindet man sich mitten in den intellektuellen Verrenkungen, in die Famed die Betrachter immer wieder hinein(ver)führt.

Sebastian M. Kretzschmar, Kilian Schellbach und Jan Thomaneck sind die ersten "Artists in Residence" im neuen St.Galler Kulturzentrum Lokremise. In der ersten institutionellen Ausstellung in der Schweiz wird Famed unter dem mehrdeutigen Titel "Vor den Dingen, nach dem Affekt" eigens für die Kunstzone im ehemaligen Lokomotivendepot eine raumbezogene Installation realisieren: "Wenn der Besucher sich auf dieses angebotene Spiel rückhaltlos einlässt, gleichsam doppelt Ja sagt (YesYes), sich also gegen den Sog der Bartlebyschen Melancholie des "Ich-möchte-lieber-nicht" (I Would Prefer Not To) stemmt und sich der komplexen Vielfalt stellt, dann wird die Bewegung durch die Ausstellung zu einem lustvollen Spaziergang zwischen den Welten." Das Aushalten einer von den Künstlern durchaus intendierten Desorientierung des Gewohnten kann dabei höchst förderlich sein, um Neues zu ersehen. Vielleicht kann ja die von Guy Debord geborgte Erkenntnis wieder für Ruhe sorgen: "Was erscheint, das ist gut; und was gut ist, das erscheint (That Which Appears Is Good That Which Is Good Appears)." (Jörg van den Berg)

Zur Ausstellung erscheint im Revolver Verlag in Kooperation mit der Columbus Art Foundation in Leipzig/Ravensburg eine vom Graphiker Philipp Arnold zusammen mit den Künstlern gestaltete umfangreiche Publikation mit Beiträgen von Beatrice von Bismarck, Konrad Bitterli, Adam Budak und Hans-Jürgen Hafner.

Famed - Vor den Dingen, nach dem Affekt
Kunstmuseum St.Gallen Lokremise
21. Mai bis 14. August 2011