Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Wim Wenders, Volker Schlöndorff – das Viergespann, das dem Neuen Deutschen Film Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zu Weltgeltung verhalf. Das Filmarchiv Austria widmet Schlöndorff, der sich in seinem Werk auf Literaturverfilmungen spezialisierte, im März eine Retrospektive.
Fassbinder, Herzog, Wenders – sie setzten in ihren Filmen ihre Visionen um. Unverkennbar sind sie in Stil und Motiven. Von den Melodramen Douglas Sirks sind die Filme Fassbinders geprägt und thematisch kreisen sie um die Geschichte der BRD. Herzogs Vorbilder liegen im deutschen Expressionismus und magische Stimmungen kennzeichnen seine Filme, während die Helden des vom amerikanischen Western, von John Ford und Anthony Mann geprägten Wenders immer auf der Suche nach Heimat sind.
Diese Inbrunst kannte Volker Schlöndorff nie, weder ein persönlicher Stil noch eine thematische Linie verbinden seine Filme. – Konsequent ordnete er sich seiner Vorlagen unter und es ist auch nur konsequent, dass er weniger auf eigene Stoffe als vielmehr auf literarische Werke zurückgriff.
Das hängt vielleicht schon mit seiner Sozialisation zusammen. Der 1939 in Wiesbaden geborene Arztsohn lernte sein Filmhandwerk weder autodidaktisch noch auf Filmhochschulen. Er war ab 1955 – bezeichnenderweise nicht in seiner Heimat Deutschland, sondern in Frankreich - ein Lehrling und seine Lehrer waren zweifellos Meister ihres Fachs. Bei Louis Malle, Alain Resnais und Jean-Pierre Melville ging Schlöndorff in die Schule und lernte das Einmaleins des Inszenierens. Eine Literaturverfilmung legte er dann schon 1965 nach seiner Rückkehr aus Frankreich mit seinem Debüt, einer Adaption von Robert Musils Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törless", vor. Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas" (1968/69) und Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) sollten folgen.
Gemeinsam ist diesen Filmen die Revolte eines Schwächeren oder Außenseiters gegen die Gesellschaft. Spielt sich dies bei "Törless" und "Michael Kohlhaas" in der Vergangenheit ab, so steht "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" in direktem Bezug zur BRD der 70er Jahre. – Und Schlöndorff wird die politischen Verhältnisse noch dezidierter in drei Omnibus-Filmen behandeln: In "Deutschland im Herbst" (1978) – der Herbst der Schleyer-Entführung, von Mogadischu und der Stammheim-Selbstmorde -, "Der Kandidat" (1980) – gemeint ist Franz-Josef Strauß – und "Krieg und Frieden" (1983) – keine Tolstoi-Adaption, sondern eine dokumentarisch-fiktive Auseinandersetzung mit dem NATO-Doppelbeschluss und der Aufrüstung.
Sein größter Erfolg gelang Volker Schlöndorff aber mit der kraftvollen, zwischen Burleske und Naturalismus pendelnden Adaption von Günter Grass Roman "Die Blechtrommel" (1979). Die Goldene Palme von Cannes (ex aequo mit Coppolas "Apocalypse Now") und den ersten Oscar für einen deutschen Film bringt ihm seine Hauptfigur Oskar Matzerath ein. Wieder geht es um eine Revolte gegen die Gesellschaft, wieder steht ein Außenseiter im Mittelpunkt. Denn der Trommler Oskar revoltiert schon mit drei Jahren, indem er beschließt nicht mehr zu wachsen und mit seinem Trommeln in der schönsten Szene des Films einen SA-Aufmarsch in eine Tanzveranstaltung verwandeln wird.
Literaturverfilmung folgt nun auf Literaturverfilmung. Mit Bruno Ganz in der Hauptrolle adaptiert Schlöndorff im vom Bürgerkrieg gezeichneten Beirut Nicolas Borns Antikriegs- und Journalismusdrama „Die Fälschung“ (1981). In Frankreich rekonstruiert der Deutsche mit Starbesetzung (Ornella Muti, Jeremy Irons) für "Eine Liebe von Swann" (1984) Marcel Prousts Paris der Jahrhundertwende. Und in den USA verfilmt er mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle mit Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" (1985) ein archetypisches amerikanisches Drama. Ist die Kritik an der US-Gesellschaft in letzterem schon durch die Vorlage gegeben, so wird diese in dem antirassistischen "Ein Aufstand alter Männer" (1987) explizit durch den Regisseur formuliert.
Zurück in Deutschland realisierte Schlöndorff mit seiner Adaption von Max Frischs Roman "Homo Faber" (1991) den Film, der als sein persönlichster und poetischster gilt. Mit Sam Shepard und July Delpy in den Hauptrollen gelang ihm ein kommerziell großer Erfolg, gleichwohl wurde – wie oft bei diesem Regisseur - die allzu große Treue zur Vorlage und die daraus resultierende drückende Last kritisiert. Steht im Mittelpunkt von "Homo Faber" mit der Frage der Planbarkeit des Lebens ein allgemein menschliches Thema, so kennzeichnen Schlöndorffs folgende Filme wieder eine stärkere Fokussierung auf die deutsche Geschichte: In "Die Stille nach dem Schuss" (2000) zeichnet er das Porträt einer RAF-Terroristin, die in der DDR untertauchte, sich dort eine bürgerliche Existenz aufbaute und nach dem Fall der Mauer enttarnt wird. In "Der neunte Tag" (2004) wiederum steht ein katholischer Priester im Mittelpunkt, der von den Nazis "Urlaub vom KZ" erhält, um den luxemburgischen Bischof zu einem Bekenntnis zum Nationalsozialismus zu bewegen. – Ein Film, der ganz von grandiosen Schauspielern lebt (Ulrich Matthes, August Diehl, Bibiana Beglau) und in dem die Inszenierung völlig hinter dem Thema zurücktritt und förmlich unsichtbar wird. – In der Reduktion auf den Inhalt, im Verzicht auf jeden Schnörkel, jeden Effekt und alle Schauwerte in gewissem Maße die Quintessenz eines Schlöndorff Films.
In die Region seines größten Erfolgs "Die Blechtrommel" kehrte er danach mit "Streik - Die Heldin von Danzig" (2007), in der er sich der Lebensgeschichte Anna Walentynowicz, der wichtigsten Mitbegründerin der polnischen Gewerkschaft, widmete, ehe er mit "Ulzhan - Das vergessene Licht" (2007) in den Weiten Kasachstans drehte.